Engelbert Humperdinck
Vorspiel zur Märchenoper “Hänsel & Gretel”
in einer Bearbeitung für Orgel von David Cavelius
Auch wer Engelbert Humperdincks Erfolgsoper Hänsel und Gretel nicht von vorn bis hinten kennen sollte – mindestens den „Abendsegen“ hat unter Garantie schon jeder einmal gehört und war mit einiger Wahrscheinlichkeit im Innersten angerührt vom frommen Gesang der beiden in den finsteren Wald geschickten Kinder. Zu ihrem Schutz wünschen sie sich den Segen der Schutzengel herbei. Mit der Melodie dieses Abendsegens eröffnet Humperdinck auch seine Ouvertüre, die dann im weiteren Verlauf – wie es sich für ein Opernprélude gehört – einzelne Themen aus dem Gesamtwerk präsentiert. Der Orchesterapparat, den der Komponist vorsieht, hat Wagner’sche Ausmaße und liefert sinfonischen Schmelz, klangsatte Opulenz, aber auch Momente von großer Zärtlichkeit. All das vermag auch die Orgel, besonders dann, wenn sie mit entsprechenden Grund- und (sinfonischen) Zungenstimmen hinreichend ausgestattet ist.
Legendäre Bearbeiter wie Edwin H. Lemare und William Creser haben die Hänsel und Gretel-Ouvertüre für Orgel eingerichtet, der Dirigent und Komponist David Cavelius, aktuell Chordirektor an der Komischen Oper Berlin, legt nun eine eigene Version vor – eine, die der mitunter orchestralen „Wucht“ des Originals nirgends etwas nimmt, sondern dessen Schwung und Spritzigkeit aufgreift, ohne dazu einen „dicken“ Notensatz bemühen zu müssen. Im Gegenteil: Cavelius zieht die Essenz aus der großen Orchesterpartitur der Ouvertüre und gießt sie in eine Version, die auf alles harmonisch und melodisch Relevante hundertprozentig Rücksicht nimmt, auf organistische „Vollgriffigkeit“ aber verzichtet. Deshalb ist diese aktuelle Bearbeitung auch gut spielbar. Tüchtig studieren muss man sie allerdings schon, keine Frage, aber sie verlangt nicht zwangsläufig den pianistisch hochpotenten Tastenlöwen.
Cavelius’ dynamische Angaben folgen sehr genau der Orchesterpartitur und lassen sich durch den Einsatz eines Schwellers und des Auf- und Abregistrierens mittels Setzerkombinationen (oder programmierbarer Crescendo-Walze) problemlos realisieren. Phrasierungen sind originalgetreu notiert, ebenso Spielanweisungen wie Pizzicato, Portato etc. Registrierungsvorschläge dagegen macht Cavelius nicht (was keineswegs ein Mangel ist!). Denn wer Humperdinck auf der Orgel möglichst „authentisch“ wirken lassen möchte, wird sich ohnehin erst einmal eine Aufnahme der Orchesterversion anhören (müssen), um sich inspirieren zu lassen.
Schließlich ist der drucktechnische Aspekt dieser Ausgabe zu loben: Großzügig, klar und deutlich ist der Notensatz und deshalb gut zu lesen.
Christoph Schulte im Walde