Andreas Willscher

Vier Orgelzyklen

Manualiter-Album Heft 3 (= Orgelwerke, Band 12)

Verlag/Label: Dr. J. Butz, BU 3010
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2022/02 , Seite 55

Der Butz-Verlag widmet sich seit vielen Jahren praktischen Orgeleditionen für den gottesdienstlichen Gebrauch, die technisch leicht erreichbar sind und den Worten des Faust aus dem „Osterspaziergang“ gerecht werden, nämlich wer vieles bringt, manchem etwas bringen werde, und jedermann dann zufrieden nach Hause gehe. So realisiert in der vorliegenden Ausgabe weitgehend von Manualiter-Stücken, die auch für die Kleinorgel gedacht sind. Der Spieler wird eingeladen, sich hier auch „zu des Gemüths Ergetzung“ an einem Pasticcio von sogenannten „Handstücken“ zu versuchen, wie sie die Klavierliteratur seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert als Gattung bereitgestellt hat.

Andreas Willscher, beliebter Hamburger Komponist mit stilistischen Grenzgängen zwischen Jazzverwandtem und Klassischem auf der Orgel, hält im dritten Band seiner Orgelzyklen-Reihe „vier mehrsätzige, zyklische Kompositionen bereit, denen je ein bestimmeter Themenkreis bzw. eine melodische Vorlage zugrunde liegt“, so sein Einführungstext. Mit dem Triptyque Sainte-Radegunde wird in den Sätzen „Entrée oder Offertoire (Carillon)“, „Com­­munion“ und „Sortie (Toccata)“ an die französische barocke Orgelsuite angeknüpft, allerdings in bisweilen freitonaler Harmonik. Die nachfolgenden Sieben Variationen über Ubi caritas et amor bieten ein ähnliches Bild formaler wie harmonischer Vorbilder, hier mehr dem Geiste der französischen Spätromantik à la Guilmant oder Boëllmann verpflichtet, gute Füllstücke meditativer Art für dementsprechende Gottesdienstformen. Die Im­pressionen aus Rügen sind mit ihren Überschriften „Fuga in honorem Ernst Moritz Arndt“, „An den Kreidefelsen. Hommage an Caspar David Friedrich“, „Die Glocken von Rügen“, „Ritter Georg zu Pferde“, „Pfarrer Kosegartens Echo“ und „Der ,Rasende Roland‘“ sowohl willkommene Reminiszenzen für den Rügen-Urlauber, regen aber auch zu konzertanten Präsentationen im Sinne von Bildprojektionen-Lyrik-Musik an. Das abschließende Kleine Wein-Brevier führt durch edle Kreszenzen von Mosel und Rheingau und ist eine Hommage an einen Barmbeker Pfarrer, der Willscher in seiner Jugend etliche dieser edlen Tropen verkosten ließ.
Der Komponist gibt zu allen Stü­cken dieses Hefts originelle und launige Hintergrundinformationen ab. Manchmal hätte man sich allerdings etwas mehr „Biss“ in formaler und harmonischer Hinsicht gewünscht, so z. B. im letzten Satz des Wein-Breviers „Großer Herrgott“ in der doch etwas fantasielosen Coda des ansonsten als vorzügliches Orgelnachspiel im Festivo-Charakter daherkommenden Stücks. Aber vielleicht will Willscher ja auch den Spieler mit diesen Vorlagen zu eigener improvisatorisch-kompositorischer Praxis anregen? Sie sind allemal gute und solide Gebrauchsmusik.

Wolf Kalipp