Anton Bruckner

Vier Orchesterstücke für Orgel

bearbeitet und hg. von Erwin Horn

Verlag/Label: Dr. J. Butz, BUTZ 2977
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2021/02 , Seite 55

Allen Kirchenschließungen zum Trotz scheint der Orgelnotenmarkt selbst in Krisenzeiten zu boomen. Sei es nun der zigste Band mit sogenannten Raritäten – zumeist romantischen Zuschliffs –, sei es die Bearbeitung bzw. Transkription eines Werks, auf das Organistinnen/ Organisten mitunter nun schon gut hundert Jahre warten mussten. Nicht selten stellt sich jedoch die Frage: Muss das denn (jetzt auch noch) sein?
Bei Anton Bruckner stellt sich die Frage zunächst vielleicht nicht, seine Affinität zur Orgel ist geradezu legendär – und dann stellt sie sich doch. Wer kennt sie nicht, die mitunter amüsant zu lesenden Schilderungen vom Orgel-Genius Bruckner, dessen Improvisationskunst etwa 1871 die Londoner Gesellschaft derart aus dem Häuschen brachte, dass angeblich 70000 Zuhörer zu seinen Darbietungen in den Crystal Palace strömten. Während dabei die Orgel seinen ausladenden Improvisationen offensichtlich standhalten konnte, soll angeblich so manche der Damen aus gehobener Gesellschaft jedoch arg geschwächelt haben. So habe man Bruckner nach eigenem Bekunden nach dem Konzert auf den Schultern durch den Saal getragen, und eine der „Ladys hat ma glei an Heiratsantrag g’­macht“.
Warum hat Bruckner, bei so viel Erfolg als Organist, dennoch nie ein wirklich nennenswertes, opulent-sinfonisches Orgelwerk komponiert/ hinterlassen? War ihm die Orgel seiner Zeit nicht das adäquate Ausdrucksmittel seines musikalischen Empfindens, auch wenn sich in seinen Sinfonien nachweislich etliche Analogien zum Orgelstil eben seiner Zeit finden? Als typisches Orgelmerkmal wird etwa die Terrassendynamik gesehen, wenngleich es ja gerade das Bestreben des romantischen Orgelbaus war, eben jene klangliche „Starre“ aufzubrechen hin zu stufenlos fließender Dynamik.
Was nun die von Erwin Horn für Orgel bearbeiteten und herausgegebenen Vier Orchesterstücke, genauer gesagt: Marsch in d-Moll und drei Sätze für Orchester aus dem Jahr 1862, betrifft, so handelt es sich um Bruckners erste Gehversuche auf dem Gebiet der Orchestermusik, gleichsam an der Nahtstelle vom improvisierenden Organisten zum Orchesterkomponisten. Dass Horn ein expliziter Kenner von Bruckner und dessen Œuvre ist, steht außer Frage und verleiht diesem Band allein dadurch schon eigenes, profundes Gewicht. Dass Horn in puncto Transkription/Bearbeitung ein „alter Hase“ ist, also keiner, der gerade in brausender Brandung auf den hochschwappenden Wellen einer regelrechten Bearbeitungs-Manie auch noch mitreiten will, macht die Ausgabe zudem sympathisch. Weiterhin spricht auch die Kürze der jeweiligen Stücke für sich: Kein scheinbar endlos ausufernder Bruck­ner also, wie es oft in den Sinfonie-Sätzen den Eindruck erweckt, womit diese Bearbeitungen auch außerhalb des Konzerts gute Verwendung finden können. Schließlich ist auch der technische Anspruch sehr überschaubar. Ein entsprechend üppig disponiertes Instrument vorausgesetzt – und schon flutet erkennbar sinfonischer Bruckner-Sound den Raum – auch wenn die eingangs gestellte Frage nicht so ganz aus dem Kopf will.

Wolfgang Valerius