Andreas Willscher

Tier-Kompositionen und Hommage an Beethoven

Jürgen Rieger an der Ober­linger-Orgel der Stadtkirche Dillenburg

Verlag/Label: Querstand VKJK 2006 (2021)
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2022/01 , Seite 62

Empfehlenswert: 5 von 5 Pfeifen

Der Hamburger Komponist und Kirchenmusiker Andreas Willscher versteht es, seinem spielenden und hörenden Orgelpublikum stets mul­ti­stilistisch-fantasievoll „eins aufzuspielen“. Der sowohl in französischer romantisch-impressionistischer Orgeltradition Geschulte als auch als Keyboarder in Jazz- und Classic-Rock-Ensemble Versierte versteht es zudem, Elemente klassischer deutscher liturgischer Improvisationspraxis stets unterhaltsam und inspirierend feilzubieten, also (Modell-) Stücke aus der Praxis für die aktuelle Organistenpraxis zu schreiben. Damit repräsentieren seine Kompositionen einen Glücksfall gerade auch für die vielen „anfahenden“ Organisten im Laien- und studentischen Hochschulbereich.
Auf der vorliegenden CD hören wir Willschers vier Zyklen mit je­weils kurzen, spieltechnisch erreichbaren Tier-Kompositionen, betitelt Insektarium (2004), Aquarium (2008), Vogelarium (2011) und Terrarium (2015). Ein zeitgenössischer Carnaval des animaux also, bisweilen durchaus rückorientiert an Saint-Saëns’ schillerndemVorbild. Es würde zu weit führen, die insgesamt 37 an zoologischen und botanischen Speziesnamen orientierten Stücke im Einzelnen vorzustellen. Die Formenpalette ist üppig und reicht vom Scherzo über Langsamen Walzer, Air, Gigue, Swing bis zum Perpetuum mobile. Dem Nutzer seien sie jedoch dringend als willkommene Handstücke bei Orgelführungen, Familien- und Kindergottesdiens­ten o. ä. empfohlen. Ihr musikdidaktischer Reichtum ist so überquellend wie die biologische Vielfalt in der Natur!
Jürgen Rieger hat sich als vielseitiger Kirchenmusiker und Konzertorganist diesem multiplen zoologischen Kosmos angenommen und versteht es, kenntnisreich die Regis­terfarben der dreimanualigen Orgel – durch die Firmen Oberlinger und Förster & Nicolaus ab 1976 im Sinne von historisch gewachsenem Bestand bis zur technischen Vollendung 2020 erstellt – zu präsentieren, ergänzt noch durch die „pri­ckelnde“ Klangkrone eines niederländischen Glockenspiels, das an jedes Manual angekoppelt werden kann. Das alles steht im eleganten historischen Prospekt von Florentinus Wang aus dem Jahre 1719.
Nach diesem musikalischen Zoologicum folgt quasi als „Sortie“ Willschers Hommage an Beethoven – Rag für Orgel, die das Füllhorn der Klangfarben und musikalischen Formen abschließt. Das dem Gedenken des im KZ Theresienstadt gestorbenen Prager Hochschullehrers und Komponisten Theodor Veidl (1885–1946) gewidmete Stück bildet eine Art Pasticcio aus bekannten Themen Beethovens, das weder Für Elise, den langsamen Satz aus der Pathetique, Die Himmel rühmen noch die 9. Sinfonie u. v. a. ausschließt. Ein humorvoller organis­tischer Gag, so ganz im Sinne des launigen Improvisationsgenies Beethoven.

Wolf Kalipp