Lothar Graap

Thema und vier Veränderungen über das Lied „Jeruschalajim schel Sahav“ für Orgel

Verlag/Label: Edition Dohr 20267
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2022/02 , Seite 54

… Die Geschichte des Volkes Israel ist aber noch nicht zu Ende – es ist noch immer auf dem Weg. Bis 1967 war Juden das Betreten der Altstadt von Jerusalem verboten. Am 15. Mai 1967 – drei Wochen vor Beginn des Sechstagekrieges – wurde das Lied Jeruschalajim schel Sahav („Jerusalem aus Gold“) bei einem Festival als „Lied des Jahres“ ausgezeichnet. Das Lied wurde schnell zum Schlachtruf der israelischen Truppen, die am 7. Juni 1967 die Klagemauer in Jerusalem eroberten. Dabei wurde aus dem ursprüng­lichen Text „Jerusalem aus Gold, aus Bronze und aus Licht, siehe, ich bin eine Laute für alle Deine Lieder“ sehr schnell „Jerusalem aus Stahl, Eisen und Finsternis, durch Deine Mauern haben wir Dich befreit“. Die Geschichte und politische Bedeutung des Liedes von seinen Ursprüngen als baskisches Wiegenlied bis hin zu seinen Übersetzungen und dem Neuen Geistlichen Lied „Ihr Mächtigen, ich will nicht singen“ lässt sich sehr gut nachvollziehen.
Lothar Graap verwendet dieses Thema für eine reizende kleine Partita, die manualiter ausgeführt werden kann und von einfachem Schwierigkeitsgrad ist. Auch hier wieder der jüdische klagende und hoffnungsfrohe Tonfall, den Graap ohne modernistische Schnörkel für sich sprechen lässt. Er schreibt zu diesem Stück: „Zu Feiern christlich-jüdischer Veranstaltungen eignet sich das ‚Thema‘ mit vier Veränderungen besonders.“ Sicher hat er dabei aus jüdischer Sicht recht – immerhin spricht der Friedens­ak­tivist und ehemalige Abgeordnete der Knesset, Uri Avney, dem Lied den „inoffiziellen Status einer zweiten Nationalhymne“ zu. Aber auf die nächste christlich-jüdische Veranstaltung braucht man nicht zu warten, um dieses leicht meditative Stück aufzuführen. Es eignet sich zum Beispiel im christlichen Gottesdienst, dessen tiefste Wurzeln ja dem Judentum entspringen, hervorragend als Musik sub communione oder auch als leise Musik zu einer Taufe.

Ralf-Thomas Lindner