Werke u. a. von A. D. Miller, J. Demessieux, L. Sowerby, M. Robinson, M. Dupré

The Walt Disney Concert Hall – American Fantasia

Daryl Robinson an der Konzertorgel von Glatter-Götz/ Rosales (2003)

Verlag/Label: Gothic Records G-49315 (2017)
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2018/03 , Seite 62

Bewertung: 4 von 5 Pfeifen

Was für eine CD! Man mag es eigentlich kaum glauben, dass der Fonomarkt auf dem Orgelsektor solch beglückende Überraschungen überhaupt (noch) bereit hält! Schon mit der Wahl des Titels ist ein deutlicher Anspruch formuliert, ver­­steht man ihn als Reverenz an die legendären „Fantasia“-Produktionen der Walt Disney Studios. Und so wie einst über jene Filmklassiker ungezählte Zuschauer erstmals überhaupt mit klassischer Musik enger in Berührung kamen, dürfte es Daryl Robinson hier mit seiner Einspielung sicherlich mühelos gelingen, der insgesamt doch eher konservativen Hörerklientel von Orgelmusik einen einladenden Zugang zu zeitgenössischer Musik zu erschließen.
Was die eingespielte Musik betrifft, so hat Robinson hier ein überzeugendes Plädoyer für Zeitgenössisches vorgelegt. Abgesehen von ei­nigen populären „Klassikern“ aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Sowerbys Comes Autumn Time von 1917, Duprés Noël-Variationen von 1922 und Demessieux’ Attende Domino von 1947) sind die meisten der eingespielten Werke erst in den letzten Jahren, zumeist als Auftragskompositionen, entstanden. Im Vorwort zeigt sich der Interpret dankbar gegenüber den Komponis­ten bzw. Organistenkollegen „for creating new works for the organ that are sophis­ticated, accessible, and FUN!“. Wer hätte vor einigen Jahren noch ernsthaft gewagt, im Zusammenhang mit zeitgenössischer Musik das Wort „Spaß“ in den Mund zu nehmen? Neue Musik war programmgemäß eine todernste An­gelegenheit. Aber zu lange hat die komponierende Avantgarde bescheidenes Talent und mangelnde Inspiration hinter akademischem Snobismus versteckt. Hier ist – Gott sei Dank – damit Schluss! Es ist einfach purer Genuss, sich diese CD anzutun.
Ausnahmslos alle hier eingespielten neueren Werke fühlen sich der französischen Orgelschule des 20. Jahrhunderts verpflichtet. Jedoch keines begnügt sich mit einer oberflächlichen „Hommage“ eines nostalgischen Gestern. Mit teils unkonventioneller Kreativität sowie brillanten Einfällen schaffen die Komponisten erfrischend Neues. Man hört sogleich, dass hier keine Schreibtisch-Komponisten, sondern, wie einst auch Dupré oder Demessieux, brillante Orgelvirtuosen am Werk waren, Charaktere also, die aus der eigenen spielerischen Praxis als InterpretIn die Möglichkeiten des Instruments Orgel kennen sowie subtil auszureizen verstehen.
Daryl Robinson entfacht ein mitunter orgiastisches Feuerwerk auf der großen Walt-Disney-Konzertorgel in der Concert Hall von Los Angeles. Seine Technik ist atemberaubend, seine Musikalität hat Sensibilität fürs Detail, aber auch den Blick für raumspannende Bögen. So gelingt ihm eine berauschende Interpretation von Aaron David Millers Fantasia über ein Thema von Holst, und George Bakers Rumba for Organ & Percussion lädt zum Mittanzen am Strand von Kuba ein.
Last but not least macht das Konzertinstrument von Glatter-Götz/Rosales mit seinen („nur!“) 72 Registern ebenfalls eine bella figura. Der weltberühmte futuristisch-dekonstruvistische „Mikado“-Prospekt mit seinen großen, charakteristischen, konkav gebogenen Holzpfeifen in dem 2003 von Frank Gehry erbauten Konzertsaal der Superlative ist für sich genommen ein echter Eyecatcher. Klanglich überzeugt das Instrument in allen Nuancen. Es entwickelt eine geradezu fulminante Größe: abgründig-gravitätische Bässe, füllig-sonore Grundstimmen, ätherisch-entrückte Streicher-Schwebung, außergewöhnlich schön und edel klingende Zungen und im Tutti ein majestätisch rundes Klangbild. Zu alledem kommt eine günstige, gar orgelfreundliche Saalakustik.
Ein Manko: Das Booklet gibt es – bedauerlicherweise! – lediglich in digitaler Darreichung als PDF-File zum Download auf der Homepage des Labels.

Wolfgang Valerius