The New Organ at St. Stephan’s Cathedral, Vienna

Werke von J. S. Bach, E. Elgar, S. Karg-Elert, Louis Lefébure-Wely und John Williams

Verlag/Label: Deutsche Grammophon (2020)
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2021/01 , Seite 62

Konstantin Reymaier an der Rieger-Orgel im Stephansdom zu Wien

Bewertung: 4 von 5 Pfeifen

Seit jeher gilt die Akustik im Wiener Stephansdom aufgrund des immensen Raumausdehnung von etwa 100000 qm und der Verwendung von Sandstein als Baumaterial für die Musikpraxis als herausfordernd. Erstmals erfüllte die klanglichen Ansprüche wohl die Walcker-Orgel von 1886, die erste der nach ihrem Standort auf der Westempore oberhalb des romanischen Riesentores benannte „Riesenorgel“, die der Brandkatastrophe 1945 zum Opfer fiel. Auf die Nachkriegszwischen­lösung der Kauffmann-Orgel folgte eine kleinere Seitenschifforgel mit 55 Registern der Firma Rieger (1991). Rieger übernahm auch den Bau der neuen, von Konstantin Reymaier in Zusammenarbeit mit namhaften Experten wie Olivier Latry (Notre-Dame, Paris), Thomas Trotter (London) und Daniel Beckmann (Mainzer Dom) entwickelten Riesenorgel mit 128 Registern und 14 Teilwerken sowie einer Verbindung zur bereits erwähnten Seitenschifforgel. Das Ergebnis ist ein vom Domorganisten als symphonisch beschriebenes „Instrument mit unzähligen Schattierungen und Klangfarben, die nicht im Raum verschwimmen, sondern transparent und gut hörbar sind“.
Kein geringeres als das älteste Klassiklabel, die Deutsche Grammophon, hat sich der akustischen Präsentation der neuen Orgel angenommen und macht seinem Ruf als Tonqualitätsmagier alle Ehre: Das Album enthält neben der CD auch ein Blue-ray-Audio mit Stereo 96/24, Surround 5.1 und Dolby Atmos. Das zum Abhören dafür notwendige Spezial-Equipment mag zwar nicht zur Grundausstattung jeden Hörers zählen, doch steht da­hinter nicht nur der Versuch, die ‚Steffl‘-Akustik ins heimische Wohnzimmer zu transferieren, sondern auch die Idee, neue Publikumsschichten zu erreichen.
Dafür spricht auch die Programmauswahl, die klassisch mit der berühmtesten Komposition für Orgel, Bachs Toccata und Fuge d-Moll, beginnt, dann aber den Blick mit romantischen Kompositionen aus England (Edward Elgar), Frankreich (Louis Lefébure-Wély) und Deutschland (Sigfrid Karg-Elert) öffnet, um mit Filmmusik-Orgelbearbeitungen von John Williams publikumswirksam zu schließen. Das Spektrum ist erstaunlich, aber die Orgel bewältigt alle Herausforderungen! Reymeier vereint in Bachs Kompositionen wie in drei eigenen Kantatenbearbeitungen historisch informiert barocke Klangpracht mit Transparenz. Der klangliche Farbenreichtum besticht hier ebenso wie in Elgars Orgel­sonate op. 28 aufgrund der differenzierten Registrierungskunst. Ausdrucksvoll erarbeitet sind auch Karg-Elerts Drei Orgelstücke op. 108, die wie Lefébure-Wélys Boléro de concert op. 166 hymnisch und gleichzeitig fantasievoll erklingen. Die Arrangements von Williams’ Star Wars-Musik zeigen ein letztes Mal die immense Variabilität der größten Orgel Österreichs.
Ein Wermutstropfen im ansons­ten informativen, vom Domorganis­ten persönlich gestalteten Booklet: Es fehlt die Disposition. Diese findet sich im von Reymaier herausgegebenen Band Die Riesenorgel im Wiener Stephansdom.

Ulrike Aringer-Grau