Bedrich Smetana

The Moldau – Organ Transcriptions

Harry van Wijk an der E. M. Skinner-Orgel (1933) der Girard College Chapel, Philadelphia (USA)

Verlag/Label: Raven OAR-979 (2018)
erschienen in: organ – Journal für die Orgel 2019/01 , Seite 63

2 von 5 Pfeifen

Der heute als legendär zu bezeichnende Edwin Henry Lemare (1865–1934) hat selbst für die Orgel komponiert und bekanntlich auch vieles arrangiert, etwa seine meisterlichen Wagner-Transkriptionen. Er hat sich darüber hinaus auch als Herausgeber betätigt und veröffentlichte unter anderem Joseph Rheinbergers
4. Sonate a-Moll op. 98, wobei er hier eigene Angaben zu Tempi, Dy­namik, Phrasierung und Registrierung in die Partitur eintrug: eine interessante Quelle hinsichtlich seiner interpretatorischen Vorstellungen von Rheinbergers Vierter.
Weil Lemare ganz selbstverständlich eine angelsächsisch-amerikanische Orgel vorschwebte, hat sich der niederländische Organist Harry van Wijk für die Einspielung seiner Rheinberger-Interpretation gemäß Lemares Edition von 1909 eine Ernest M. Skinner-Orgel in Philadelphia ausgesucht. Es ließen sich, so der Interpret im Booklet, Lemares Intentionen so doch am authentischsten realisieren – was hundertprozentig zutrifft.
Die 1933 vollendete viermanualige Skinner-Orgel der Chapel des Girard College hält hier alle klanglichen Ressourcen bereit. Van Wijk folgt den Anweisungen minutiös, mitunter mit überraschendem Effekt wie jenem im Intermezzo (ab Takt 88), wo Voix Céleste und Vox humana eine interessante Vermählung eingehen. So originell klanglich eingefärbt dürfte Rheinberger seine eigene Orgelmusik wohl kaum selbst gehört haben.
Ansonsten ist Lemares Version nicht unbedingt spektakulär – was grundsätzlich für die gesamte CD-Produktion gilt. Da ist Mozarts gro­ße f-Moll-Fantasie KV 608 zu hören, Guilmants Cantilène-Pastorale op. 15, César Francks Pièce héroique – wahrlich keine Novitäten auf dem Orgel-Tonträger-Markt; ebenso we­nig Marco Enrico Bossis g-Moll-Scherzo op. 49. Aufhorchen lässt allenfalls die Transkription von Bed­řich Smetanas sinfonischer Dichtung Die Moldau, die Barbara Bannasch besorgte und die der Kölner Dohr-Verlag publiziert hat. Musik, die an ihren Ohrwurm-Qualitäten keinen Zweifel lässt und die auf der Orgel zu spielen absolut lohnt. Van Wijk erweist sich als versierter „Dirigent“ eines Orches­ters aus Pfeifen und lässt mit ihnen virtuos die Fluten des Flusses munter gurgeln.
Etwas befremdlich erscheint bisweilen der Klang der Skinner-Orgel, wie ihn die Aufnahmetechnik auf dieser Scheibe eingefangen hat. Durchweg stellt sich der Eindruck ein, das Instrument stünde etwa in einer Bahnhofshalle (wurde hier eventuell übermäßig mit Kunsthall gearbeitet?). Kühl und spröde-kris­tallin dringen die Klänge ans Ohr, mitunter noch potenziert durch van Wijks Registrierungen, etwa in Mozarts Adagio-Mittelteil: bar jeglicher Poesie und rokokohafter Sonnigkeit. Hinzu kommt der Umstand, dass das Instrument zur Zeit der Aufnahme technisch offenbar nicht in Bestform war: Hier und da hätte man durchaus vor Beginn der Produktion erst einmal einen Stimmer/
Intonateur durch die Orgel schicken dürfen. Dem sonoren spätromantischen Schmelz der Orchestral Oboe in Rheinbergers „Intermezzo“ etwa hätte dies nicht geschadet.

Christoph Schulte im Walde