Liszt, Franz

Tasso. Poème symphonique

Transkription für Orgel von Jean Guillou

Verlag/Label: Schott Music, ED 21287
erschienen in: organ 2012/01 , Seite 59

Franz Liszts Sinfonische Dichtung Tasso (Untertitel: lamento e trionfo) wurde von den literarischen Vorlagen Goethes und Lord Byrons inspiriert, die das wechselvolle Schicksal des italienischen Renaissancedichters Torquato Tasso aufgreifen. Neben der Partitur für großes Orchester erstellte Liszt ein Arrangement für „sein“ Instrument, das Klavier – wie im Übrigen von allen seinen Sinfonischen Dichtungen. Eine Übertragung dieses sinfonischen Repertoires für die orchestrale Orgel des (post-)romantischen Typs erscheint von daher durchaus plausibel und lohnend. Zweifellos fordern die dramatische Klangsprache und die damit verbundene Instrumentation des Werks eine große symphonische Orgel mit mindestens drei Manualen und (digitalen) Spielhilfen. Außerdem sollte das Instrument über einen Manualambitus von C-c1 und im Pedal C-g1 verfügen.
Bereits das einleitende, Tasso symbolisierende leitmotivische Thema in der tiefen Streicherlage möchte Guillou mit Pedalgrundstimmen der 32’-, 16’- und 8’-Lage sowie Fagott 16’ wiedergegeben wissen. Oboen-, Klarinetten- und Flötensoli werden in der Orgelfassung oftmals von den entsprechenden Soloregistern übernommen. Harfenarpeggien werden mit Flöte und Piccolo 1’, hohe Streichertremoli mit Flöte 4’ realisiert, die Blechbläser werden von den fonds (8’) und Récit-Zungen übernommen; die Illusion eines langen Paukenwirbels vermittelt ein kolossaler Pedaltriller. Überhaupt versteht es Guillou vorzüglich, die Partitur für die Orgel effektvoll zu „orches­trieren“, ohne dabei in zu engstirniger Weise scholastisch zu verfahren.
Auffallend ist, mit welcher Akkuratesse er die Noten der Partitur auf die Orgel transponiert – keine noch so kleine musikalische Geste oder Motiv geht hier verloren. Über weite Strecken werden viele Instrumente, ja selbst ganze Instrumentengruppen sehr authentisch abgebildet; von eigenen „Zutaten“ sieht Guillou bis auf wenige sinnvolle Ausnahmen ab. Einzig der Fundus an Ausdrucksbezeichnungen, Artikulations- und Phrasierungszeichen fand nur gelegentlich Eingang in die Bearbeitung. Der mit vielen Streicherpizzicato-Tupfern durchsetzte Mittelteil („quasi Menuetto“) fordert vom Spieler eine annähernd tänzerisch-agile Spielweise, wie sie dem Maître selbst eigen ist. Hehre Virtuosität und Klangpracht offenbart der Schlussabschnitt („Trionfo“): Rasche komplementäre Achteltriolen wechseln sich im Pedal und Manual ab und münden in den Triumphgesang. Die linke Hand übernimmt alsbald die Fanfaren des großen Blechs und wird dabei von der rechten Hand mit „einkomponierten“ pianistischen Akkordbrechungen über mehrere Oktaven bzw. Terzentrillern überlagert. Furios beschließen rauschende Akkordkaskaden und Pedalläufe das glänzende Werk.
Guillou bereichert mit Tasso, nach seinen ebenfalls bei Schott erschienen Sinfonischen Dichtungen Prometheus und Orpheus, die einschlägige Konzertliteratur um eine weitere eindrucksvolle Orgeltranskription. Die Veröffentlichung zeichnet sich zudem durch die bei dem Verlag gewohnte hohe editorische Qualität und einen durchweg sehr gut lesbaren Satz aus.

Jürgen Geiger