Camille Saint-Saëns

Symphony No. 3 „Organ“ (arr. Guy Bovet)

Tarantella op. 6 | Romance op. 37. Ulrich Meldau an der Kuhn-Orgel der Kirche Enge, Zürich

Verlag/Label: SACD, Aeolus AE-10097 (2018)
erschienen in: organ – Journal für die Orgel 2019/01 , Seite 61

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Darf man das? Darf man ein fertiges und in sich stimmiges Werk eines vor rund einhundert Jahren verstorbenen Komponisten „aufdröseln“, es „umstricken“ und nach Gutdünken wieder zusammenfügen, um sich als Solist besser in Szene zu setzen? Guy Bovet hat es getan. Mit keinem geringeren Opus als der Symphony Nr. 3 c-Moll op. 78 von Camille Saint-Saëns (1835–1921), der berühmten „Orgelsymphonie“. Und natürlich hat Bovet Recht, immer ein klein wenig schlechtes Gewissen zu verspüren, wenn sich bei einer Aufführung nach dem Finale der Dirigent für den hoffentlich freund­lichen Applaus bedankt – und mit ihm auch quasi gleichberechtigt der Organist. Obgleich der ja nicht gerade alle Hände voll zu tun gehabt hat: ein paar dicke, wenn auch äußerst wirkungsvolle Akkorde im vierten Satz, zuvor im „Poco Adagio“ noch einige organistische Kleinigkeiten im romantischen Generalbassmodus – mehr hat Saint-Saëns dem „Solisten“ an der Orgel nicht zugedacht.
Bovet möchte mit seiner Einrichtung / Bearbeitung / Neuschöpfung der „Orgelsymphonie“ diesen Umstand ausgleichen, indem er dem namensgebenden Instrument in der Symphonie breiteren Raum zur Entfaltung gestattet, als Saint-Saëns eigentlich vorsah. Das ist Bovet meis­terhaft gelungen, wie die Einspielung mit dem Capriccio Baroque Orchestra unter Leitung von Karel Valter und mit Ulrich Meldau an der Orgel belegt. Wenn die vierzig sinfonischen Minuten verklungen sind, gewinnt man den Eindruck, man habe ein Werk gehört, das vom Komponisten nie anders gemeint gewesen, nie anders gedacht worden war. In erster Linie wohl deshalb, weil Bovet so gut wie gar nicht in den Notentext eingegriffen hat. Lediglich im Finalsatz steuert er eine eigene (kleine) Kadenz bei. Ansonsten stammt jede Note von Saint-Saëns. Mit großem Geschick werden einzelne Orches­ter-Solo­stimmen wie Flöte oder Oboe auf die Orgel übertragen, werden ihr etwa chorische Bläserpassagen zugewiesen. Auch die in dieser bearbeiteten Version nach wie vor real musizierende Pauke bekommt zusätzlich die Orgel an die Seite gestellt. Das funktioniert ebenso gut wie Bovets „Trick“, die beiden munter arpeggierenden Klaviere zu ersetzen: durch eine Harfe!
Zum einen bekommt der Organist in dieser Version schlichtweg mehr zu tun, und zum anderen wird Saint-Saëns’ Sinfonie auf diese Weise erschwinglicher für Konzertveranstalter, die dieses Werk präsentieren möchten (in Bovets Version wird es finanziell günstiger). Der Orches­­terapparat ist deutlich kleiner, verliert aber nicht an Wirkung. Das dokumentieren Ulrich Meldau an seiner Kuhn-Orgel der reformierten Kirche Enge in Zürich und das Capriccio Baroque Orchestra klang- und eindrucksvoll. Marginaler Wermutstropfen: Das vibratolose Spiel der Streicher offenbart stellenweise deren Intonationsprobleme. Ansons­­ten: eine echte Repertoirebereicherung!

Christoph Schulte im Walde