Zsolt Gárdonyi
Sieben festliche Finalstrophen für Orgel
Ein typisch englisches Hymn-Tune aus dem frühen 20. Jahrhundert bildet die thematische Grundlage der etwa fünfminütigen Orgelfantasie Lift High the Cross aus der Feder von Zsolt Gárdonyi. Der triumphierende Textinhalt, Christi Liebe in der Überwindung des Kreuzes in aller Welt zu preisen, spiegelt sich in einer Melodie ebensolchen Ausdrucks. Zahlreiche Bearbeitungen für Bläser, Pauken, Orgel und Chor sind schon über dieses feierliche Lied verfasst worden. Gárdonyis Werk beginnt mit leisen Streicherakkorden, zu denen ein weicher 2’ im Pedal die ersten Intervalle des Hymntunes intoniert und fortspinnt. In mehreren Aufschwüngen wird auf spannende Weise in großartiger Steigerung der Eintritt des Liedthemas vorbereitet. Im weiteren Verlauf des Stücks wird das Liedthema gemäß der Strophenaufteilung viermal durchgeführt, zweimal in der Originaltonart C‑Dur und zweimal in F‑Dur. Hierbei kommt Gárdonyis Meisterschaft in der Harmonisierung zur vollen Entfaltung; Akkorde, bestehend aus Terzschichtungen, Zwischendominanten, chromatische Durchgänge, close und open harmony und Verwendung sämtlicher Parallel‑, Gegen- und Stellvertreterharmonien stellen das Lied in farbigste Schattierungen, bis es rhapsodisch freier werdend jubelnd ausklingt. Das wirkungsvolle, allenfalls mittelschwere Stück ist als Einzugs- oder Auszugsmusik und im Konzert vielseitig einsetzbar. Man darf darauf hoffen, dass der Verfasser das Werk auch einmal für Chor und Orgel bearbeitet; eindringliche Chormusik mit Orgelbegleitung in diesem Genre und dieser Qualität gibt es ja leider fast nur im Bereich der englischen Kathedralmusik.
In zahlreichen Werken englischer Kathedralmusik für Chor und Orgel, die, wenn es sich um Bearbeitungen von Kirchenliedern, also Hymn-Tunes in Form von unterschiedlichen Strophenvariationen handelt, gibt es fast immer eine letzte Strophe, die sich durch besondere harmonische Behandlung, freie, umspielende Orgelbegleitung und chorisch besetzte Oberstimmen auszeichnet. Diese wunderbare Idee hatte Gárdonyi mit seinen festlichen Finalstrophen zu den Liedern O du fröhliche, Christ ist erstanden, Gelobt sei Gott im höchsten Thron, Wie herrlich gibst du, Herr, dich zu erkennen, Jauchzt, alle Lande, Gott zu Ehren, Wunderbarer König und Mache dich, mein Geist, bereit. Sie sind als Orgelsätze zur Begleitung der Gemeinde konzipiert, die schon durch vorausgesungene Strophen firm sein sollte; wer Gárdonyi kennt, weiß, was da harmonisch auf einen zukommt. Das geht weit in die Jazzharmonik, aber auch Mixturklänge, gänzlich unerwartete und unerhörte Wendungen und Umdeutungen tauchen auf und lassen aufhorchen, aber eben auch das Herz aufgehen. Dass solche Stücke Gift für Studierende sind, die schön brav zur Stilistik des Kirchenliedes passende Sätze machen müssen, ist klar. Ich finde sie so reizvoll, dass ich sie gerne auch mal so spiele, als Vorspiel, obligat, in verschiedenen Registrierungen und Tempi, ruhig mehrmals hintereinander. Ich finde auch, dass sie weniger braven Organisten Ideen zum farbigen Harmonisieren von Melodien aller Art geben können. Auch hier hoffe ich auf variationsreiche Strophenlieder für Chor und Orgel aus der Feder des begnadeten Harmonikers!
Stefan Kagl