Max Reger
Sämtliche Bearbeitungen für Orgel
Ulrich Walther an der Stahlhuth-Jann-Orgel (1912/2002) der Pfarrkirche St. Martin zu Dudelange (Luxemburg)
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Der Löwenanteil des hier eingespielten Repertoires besteht aus Bearbeitungen von Bachs „Clavier-Werken“ durch Max Reger (Praeludien und Fugen aus dem Wohltemperierten Clavier, Toccaten, eine Fantasie, Suitensätze, die 15 [zweistimmigen] Inventionen durch jeweils eine dritte Stimme Reger’scher Provenienz zur sogenannten „Schule des Triospiels“ augmentiert). Ein Teil der Arrangements bilden kompositorisch „restaurierte“ Skizzen Regers. Sowohl Reger wie Ulrich Walther beschreiten hier ganz andere Wege als der legendäre angelsächsische Orgelbearbeiter William Thomas Best in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Regers Bearbeitungen sind intentionsgemäß schon an sich neben aller Texttreue „Werkinterpretationen“.
Den Höreindruck dominieren die überhitzen Artikulationen und vorgegebenen dynamischen Verläufe Regers, reiche Klangfarben der Orgel sowie die Bach’sche Harmonik, die in diesem Zusammenhang sehr romantisch anmutet; die komplizierten satztechnischen Strukturen Bachs sind dagegen eher Nebensache. Walther gelingt es meisterhaft und ohne klangliche Brüche, die abstrakten dynamischen Vorschriften Regers (Manualverteilung, Crescendi/Decrescendi, pp bis ff) mit fließenden Registrierungen zu realisieren – von der Vox cœlestis zum Reger’schen „Organo Pleno“ und zurück.
Der kleinere Teil des Albums bietet Regers Arrangements eigener Werke und von Stücken anderer Komponisten (Richard Strauss, Christian Sinding), allen voran Listzs Legende Der heilige Franz von Paula auf den Wogen schreitend. Das stimmt allerdings nicht ganz, denn es sind auch einige hypothetische Rekonstruktionen anderer Musiker von Bearbeitungen dabei, die Reger nur in schriftlichen Quellen erwähnt hat, so Liszts Harmonies du soir, dessen Interpretation für den Rezensenten den Höhepunkt dieser Einspielung darstellt.
Eine moderne Zutat ist die Bearbeitung von Regers populären Mozart-Variationen für Orchester durch den Interpreten, der hier eine virtuose Glanzleistung absolviert hat. Apropos „modern“: Das gesamte Album hat nicht einen historischen, sondern einen eher modernen goût. Die Stahlhuth/Jann-Orgel von Dudelange klingt imposant, rund und harmonisch, es stören aber bei der Intonation der Labialregister der fehlende energische „Strich“ à la Walcker oder Sauer und die sehr deutliche (frankophone) Präsenz von Zungenregistern ab dem Forte aufwärts; das ist für deutsche Orgeln aus dem Umfeld von Reger doch eher untypisch. Auch das einerseits agogisch und dynamisch hochsensible, andererseits mühelos virtuose Spiel Walthers mutet eher modern als „historisch orientiert“ an.
Das ausführliche, bebilderte Textheft enthält viele interessante historische Fakten und Erläuterungen zu Regers Orgelbearbeitungen, aufführungspraktische Überlegungen, Informationen über Regers Orgelinstrumentarium und eine Beschreibung der Orgel in Dudelange.
Fazit: Ulrich Walther hat mutig ein eher abseitiges Repertoire eingespielt und mit seiner Art der Interpretation einen organistischen Bravourakt vollführt.
Wolfram Syré