Retrospection

Orgelmusik des 16. und 17. Jahrhunderts aus der Krakauer Tabulatur, der Lowiczer Tabulatur sowie von John Bull, Hans Leo Hassler, Francisco Correa de Arauxo, Johannes Fischer, Matthias Weckmann und Johann Jakob Froberger

Verlag/Label: PASCHENrecords PR 150030 (2015)
erschienen in: , Seite 58
4 von 5 Pfeifen
 
Bei der unter dem Titel Retrospec­tion von Krzystof Urbaniak eingespielten CD handelt es sich um ein Porträt der außergewöhnlichen, von Hermann Raphaelis um 1570 erbauten Renaissance-Orgel der Kapelle auf Schloss Sønderborg (Dänemark), die 1996 von dem dänischen Orgelbauer Mads Kjersgaard restauriert bzw. konstruiert wurde. Das außergewöhnlich klangschöne Werk ist wohl heute die einzige erhaltene historische Orgel auf 6’-Basis (a’ = 624 Hz), steht also etwa einen Tritonus höher als die heutige Normalstimmung, was im 16. Jahrhundert freilich noch an vielen Orten gebräuchlich war.
Das bunt gemischte Repertoire aus dem 16. und 17. Jahrhundert ist wohl vor allem dem Wunsch nach einer optimalen Präsentation der Orgel geschuldet, und hier liegt auch eine der Stärken dieser Einspielung: Die Schönheiten dieses außergewöhnlichen Instruments werden geschickt ins Licht gerückt und man hört mit Genuss die erstaunlichsten Registerkombinationen, z. B. das wunderbar samtige Regal des Unterwerks, das sowohl in John Bulls Salve Regina als auch in Correa de Arauxos Tiento als Begleitregister (!) dient, einmal für ein Solo auf der ausnehmend schönen Trompete, und einmal für die Kombination von Gedackt 8’ und der schwebend gestimmten Querpfeife 8’, die hier beinahe wie eine Glasharfe klingen. Aber auch schlichte Kombinationen wie Prinzipal alleine oder Prinzipale 8’/4’/2’ klingen hier ganz hervorragend und werden vom Interpreten stilsicher und geschmackvoll eingesetzt. Obwohl dieses Instrument nur 14 Register besitzt, scheint sich jede Stimme mit jeder anderen aufs Beste zu mischen, und man wartet am Ende eines jeden Stücks gespannt darauf, welch neue Klangdelikatesse der Interpret wohl noch aus dem Hut zaubern wird.
Krzystof Urbaniak erweist sich als überaus sachkundiger, stilsicherer und sorgfältig agierender Interpret, der auch fantasievoll und abwechslungsreich zu verzieren weiß. Die Polyphonie bleibt stets verständlich und plastisch durchhörbar, vielleicht auch besonders dank der hohen Stimmung des Instruments. Manchmal würde man sich vielleicht ein expressiveres und fluideres Spiel wünschen, das mehr die Phrasen und Spannungsbögen der Musik nachzeichnet. Gleichwohl hört man diese CD mit Genuss, da das Repertoire – teils wenig bekannt – klug ausgewählt ist und die Klanglichkeit der Orgel perfekt in Szene setzt. Die Aufnahmetechnik ist sehr direkt, dabei stets klar und präsent.
 
Thilo Muster