hg. von Bella und Semjon Kalinowsky

Prayer of Remembrance

Music by Jewish Composers for Organ

Verlag/Label: Strube Edition 3607
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2021/02 , Seite 54

In den vergangenen zwanzig Jahren ist ein zunehmendes Interesse an der jüdischen Orgelkultur feststellbar. Während zunächst die Geschichte des Baus von Synagogenorgeln im Vordergrund stand, haben in letzter Zeit mehrere Verlage Werke mit jüdischer Orgelmusik veröffentlicht. Die beiden Herausgeber der vorliegenden Neuedition des Strube-Ver­lags, Bella und Semjon Kalinowsky, haben es sich zur Aufgabe gemacht, die größtenteils in Vergessenheit geratenen und nur noch in Archiven und Bibliotheken vorhandenen Wer­ke jüdischer Herkunft wieder zu entdecken und Musikinteressierten zugänglich zu machen. Zudem wollen sie einen Beitrag zum 1700-jährigen Jubiläum jüdischen Lebens in Deutschland leisten.
Bei den Fünf Synagogen-Melodien op. 47 zum Neujahrs- und Versöhnungstag von Louis Lewandow­­ski (1821–94) und den Vier Präludien für Orgel oder Harmonium op. 10 von Joseph Sulzer (1850– 1926), denen keine synagogalen Melodien zugrunde liegen, handelt es sich um Musik, die auch im jüdischen Gottesdienst gespielt werden kann.
Siegfried Würzburger (1877–1942) war von 1911 bis 1938 Organist an der neu gegründeten Frankfurter Westend-Synagoge. Dort stand ihm eine große, 1910 von der Firma Walcker gebaute Orgel zur Verfügung (III/P/46). Würzburgers Passacaglia und Fuge über Kol Nidre (1934) erinnert an den Stil von Max Reger. „Kol Nidre“ sind die beiden ersten Worte eines jüdischen Gebets (in aramäischer Sprache), das als Einleitung zum Vorabend des Versöhnungsfests Jom Kippur, dem höchsten und heiligsten jüdischen Fest, am 10. Tischri (zwischen Mitte September und Anfang Oktober), in der Synagoge gesungen wird.
Im Zentrum des umfangreichen Schaffens von Hermann Berlinski (1910–2001) stehen Werke für Orgel, insbesondere seine zwölf Orgelsinfonien. Bekannt wurde er hingegen durch das Werk Der brennende Dornbusch (1957). In einer mitreißenden Toccata schildert Berlinski das dramatische Geschehen am Berg Horeb. Dem Werk liegt eine leitmotivische Zeile zugrunde, die auf dem Rhythmus der hebräischen Worte basiert und in der sich Gott Moses offenbart: „Ich werde da sein, als der ich da sein werde“.
Als Organist der Synagoge in der Rue Notre-Dame de Nazareth in Paris spielte Jehan Alain (1911–40) 1938 eine Schallplattenaufnahme mit einer Improvisation mit dem Titel L’Année Liturgique Israélite (Der Jahreskreis der jüdischen Feste) ein. Die erhaltene Improvisationsskizze wurde von Marie-Claire Alain anhand der Tonaufnahme vervollständigt und von ihr 1996 beim Musikverlag Leduc veröffentlicht.
Mit stilistisch weiter Palette und unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad bietet das Heft für jeden etwas. Das Druckbild ist sehr kompakt, die Wendestellen sind gut eingerichtet.
Auf den letzten Seiten der Edi­tion sind die Biografien (deutsch/ englisch) der in dem Band vertretenen Komponisten abgedruckt; sie tragen wesentlich zum Verständnis der Werke bei.

Achim Seip