Poème Héroïque – Pieces for Organ & Brass Quintet

Werke von Eugène Gigout, César Franck, Léon Boëllmann, Marcel Dupré, Félix Alexandre Guilmant und Camille Saint-Saëns

Verlag/Label: talent records DOM 2910 108 (2007)
erschienen in: organ 2009/03 , Seite 54

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Längst hat das bei weniger geübten OrgelmusikhörerInnen – und damit freilich bei der ganz überwiegenden Mehrheit – als niederschwellige „Einstiegsvariante“ sehr populäre Repertoiregenre „Orgel plus …“ einen festen Platz auch im klassischen Fonosektor. Galten die meisten Einspielungen bislang eher Duo-Kombinationen – allen voran natürlich „Orgel und Trompete“ –, so sind es in jüngster Zeit Ensemble­formationen, welche den per se farbenreichen und dynamisch potenten Klang der Orgel ergänzen. In den seltensten Fällen handelt es sich hierbei um die Einspielung von Originalrepertoire; man gewinnt zusehends den Eindruck, als ob das nach wie vor angestaubte Image des als sakral apostrophierten Instruments durch Orchesterinstrumente buchstäblich aufgewertet und die Klang- respektive Raumwirkung ins Unermessliche gesteigert werden solle: in Zeiten ausverkaufter Filmmusik-Tourneen sicher ein mög­licher Versuch, Publikum für die Orgel zu akquirieren.
Gerade „romantische“ Bearbeitungen für Blechbläserensemble und Orgel bieten rein instrumentatorisch allerdings selten Interessanteres als Stimm-Verdopplungen oder alternativ eine chorische, alternierende Aufteilung der ursprünglichen Orgelpartitur. Ergebnis ist dann zwar eine Erweiterung des Klangspektrums im piano- bis mf- Bereich, bei Tutti-Stellen hingegen Massierung der Klänge, wobei eine fast schon obligatorische Grundausstattung an Schlagwerk – Pauken, Becken und große Trommel – freilich nicht fehlen darf. Auch wenn die vorliegende Aufnahme mit dem belgischen Ottone Brass Quintett diesbezüglich im Wesentlichen keine Ausnahme bildet und ausnahmslos geläufige Namen des französisch-symphonischen Repertoires bedient, liegen die erfreulichen Unterschiede im Detail.
Zuvörderst sind dabei die eigenen Bearbeitungen von Steven Verhaert (*1969) – einem der beiden Trompeter – zu nennen, welche hörbar von den gängigen, im Druck erschienenen Versionen abweichen. So kann man selbst bei den unendlich oft gehörten Stücken wie Gi­gouts Grand Chœur Dialogué, Duprés Cortège et Litanie oder Guil­mants 1ère Symphonie noch Gewinn­bringendes entdecken. Eine Ver­sion von César Francks Cantabile und Camille Saint-Saëns’ „Finale“ aus dessen Dritter Orgelsymphonie in c-Moll bieten jedem Transkriptions-Fan Anregung.
Auf­fälligerweise gibt die insgesamt schlanke Instrumentierung einer po­ly­phonen Stimmaufteilung den Vor­zug gegenüber blockhaften Grand-Chœur-Klängen. So taucht die musikalische Faktur – ganz anders als es der „heroische“ CD-Titel nahe legt – eher in die Sphäre kammermusikalischer Finesse. Dies ist zuerst als Lob für die hier musizierenden Instrumentalisten zu verstehen, welche alle auf eine Karriere in belgischen Staatsorchestern und in Kammermusik-Ensembles verweisen können. So sind perfekte Abstimmung, musikalische Spannung und gleichberechtigte klang­liche Ar­beit – ohne Solistendünkel – selbstverständlich. Dazu kommt der kultivierte, ungewöhnlich warme bis lyrische Ton – der glücklicherweise in einem erfreulichen Gegensatz zu den im Booklet-Text angekündigten „kräftigen Klängen“ steht – und die stets perfekte (dabei heikle) Intonation. Im titelgebenden Poème héroïque Duprés kommt zwar eine Triangel zum Einsatz, nicht jedoch die vom Komponisten selbst original vorgesehene Feldtrommel (wie schade!).
Auch wenn die 2003 erbaute Woehl-Orgel der Cuxhavener St.-Petri-Kirche mit ihren 46 Registern klanglich eine Mélange aus französisch-symphonischen und deutsch-romantischen Elementen darstellt und ihr Standort in der Apsis auf ebenerdigem Niveau einer Tonaufnahme fraglos entgegenkommt, erschließt sich dem Hörer die Notwendigkeit dieser weiten Reise von der Seine bis zur Elbmündung nicht vollends: Von dem im Booklet-Text propagierten Cavaillé-Coll-Klang ist man hier letztlich allzu weit entfernt. Der Orgelpart ist tontechnisch zudem viel zu indirekt eingefangen, wirkt fast durchgängig wie ein gedrosseltes Continuo, woran letztlich auch das engagierte Spiel Jan Vermeires, Organist der histo­rischen Orgel der St. Walburga-Kirche im flämischen Veurne, nichts zu ändern vermag. Zudem fallen einige wenige Ungenauigkeiten (die man bei der tontechnischen End­redaktion prob­lemlos hätte bereinigen können) ins Ohr. Insgesamt wäre ein packenderer Zugriff der musikalischen Spannung förderlich gewesen, wobei es der CD durchaus nicht an Dramaturgie fehlt, sondern an dem entscheidenden Quäntchen Temperament …
Das Booklet liefert einen – eher oberflächlichen – Überblick über das Verhältnis der Komponisten zueinander und zum symphonischen Orgeltyp Cavaillé-Colls. Die Beschreibungen der eingespielten Werke sind von lapidarer Kürze; über den Organisten erfährt der Leser dafür (zuviel) Detailliertes, während die Viten der Quintett-Mitglieder summarisch abgehandelt werden. Die beiden sehr zuverlässig agierenden Schlagzeuger finden ein­zig auf dem Inlay namentlich Erwähnung. Bedauerlicherweise wird der Autor des Booklet-Textes gänz­lich verschwiegen – dessen deutsche wie englische Übersetzung recht ungelenk geraten ist. So werfen einige (wenige) technische und weit mehr editorische Unzulänglich­keiten, welche einerseits der Aufnahmefirma Domusic Pro­ductions, andererseits dem belgischen Label talent records anzulasten sind, einige unnötige Schatten auf diese mit Blick auf die Instrumentation sowie klang­farblich lohnende Produktion.

Dominik Axtmann