Joseph Schmid (1868–1945)

Orgelwerke

hg. von Gerhard Weinberger

Verlag/Label: Butz Verlag Bonn, BU 2864
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2018/03 , Seite 58

Unbekannt blieb er, der Joseph Schmid mit seinem so alltäglichen Namen. Knapp 77 Jahre alt ist er geworden und lebte und arbeitete in einer Zeit, die auch so unterschiedliche Naturen wie Claude Debussy (1862–1918), Richard Strauss (1864–1949), Max Reger (1873–1916) hervorbrachte. Freilich erreicht Schmid nicht deren Rang, Ansehen oder Können – dramatische Auflösung der konventionellen Harmonik oder wundersam melodische Einfälle mit unglaublicher Instrumentierungskunst oder hochmeisterliche, kühne, für die Orgel chromatische Fantasien … Ohnedies ist es eine unruhige Zeit, in der sich viele stilistische Schichten überlagern, als wisse die Musik nicht, wo sie hinaus wolle – keine epochale Abgrenzung wie zu früheren Zeiten.
Schmid ist musikalischem Wagemut abhold. Er studierte immerhin bei Josef Rheinberger und Ludwig Thuille („Münchner Schule“), war Chorleiter und Domorganist der berühmten Liebfrauenkirche zu München mit ihren charakteristischen „welschen Hauben“ (von 1525). Er verfasste über 400 Werke, darunter zwei Opern, 15 Messen und einige Chor- und Orgelwerke. Doch vieles ist vergessen.
Der Münchener Gerhard Weinberger hat sich der Orgelwerke angenommen. In seiner Ausgabe versammeln sich Stücke wie etwa Improvisation, Arioso, Menuett, Prae­ludium, Ave Maria, aber auch ein Passus et sepultus est. Eine gewisse Abhängigkeit (oder Anhänglichkeit) von seinem Lehrer Rheinberger ist unverkennbar, insbesondere von dessen kürzeren Miscellaneen.
Tatsächlich bringt Schmid keine opulent-symphonischen Stücke aufs Notenpapier. Alles ist genügsam, aber einfallsreich, keineswegs revolutionär, aber fantasievoll, keineswegs exzessiv, aber wohl geordnet – und dabei von einer weitgehend heiteren Art wie ein Spaziergang über eine prachtvolle Blumenwiese im Gebirge, gefällig, freundlich, nett, mit maßvollen Sequenzierungen, einfach allerliebst und hübsch … Und wenn dann auch eine flinke Gavotte und eine hurtige Gigue auftauchen, hört sich das an wie munter-übermütige Purzelbäume auf besagter Bergwiese.
All diese Miniaturen (manche nur mit knapp drei Seiten) sind sicherlich für ein Programm mit Musik der Romantik geeignet, aber auch als choralfreie Prae- und Postludien im Gottesdienst.
Der rührige Verlag unterbreitet ein klares Notenbild, lässt aber am Layout zu wünschen übrig, denn die vielen weißen Flächen (nicht die leeren Umblätterstellen!) auf manchen Seiten lassen doch grundsätzliche Fragen nach der Einteilung offen. Sparsame Manualangaben des Komponisten verbinden sich mit sparsamen editorischen Hinzufügungen. Ein Bild der früheren Domorgel zu München (1936) ziert Vorder- und Rückseite.
Eine einigermaßen romantisch disponierte Orgel – sie muss nicht üppig ausgebaut sein – kommt der Klangvorstellung Schmids entgegen. Bei übertriebener oder gar zu schmaler Barock-Disposition muss man die feurig gemeinten Klangballungen und ausschweifenden Oktavpassagen gebührlich beschneiden.

Klaus Uwe Ludwig