Johann Gottfried Müthel (1728–88)

Orgelwerke

Verlag/Label: Aeolus AE 11131 (2017)
erschienen in: organ 2018/02 , Seite 59

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Johann Gottfried Müthel zählt, stilistisch gesehen, sicherlich zu den interessantesten und zugleich merkwürdigsten mitteldeutschen Komponisten der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Als Zeitgenosse Carl Philipp Emanuel Bachs war er ein musikalisch sich höchst intensiv artikulierender Apologet des „empfindsamem Stils“. In der Tat darf man mit Blick auf C. P. E. Bach gar von einer Weiterentwicklung sprechen, wenn man Müthels überliefertes Œuvre für die Orgel näher betrachtet: Schärfung der Ausdrucksskala generell, komplexe rhythmische Elemente und eine intensive Auseinandersetzung mit den Formen der „Freien Fantasie“ und des „Fantas­tischen Stils“ fallen auf.
Müthel wurde in Mölln (Herzogtum Lauenburg) geboren und sowohl vom fachkundigen Vater als auch von dem damaligen Lübecker Marienorganisten Paul Kuntzen an der Orgel und am Cembalo ausgebildet. Nach erster Anstellung am Hof zu Schwerin begab er sich 1750 zu Bach-Vater nach Leipzig, der ihn die letzten drei Monate seines Lebens noch als Schüler annahm. Anschließend ging Müthel noch bei dessen Schwiegersohn Altnikol in Naumburg in die Lehre. Bei Besuchen in Dresden, Potsdam und Hamburg lernte er Hasse, C. P. E. Bach und Telemann kennen, die sicherlich Einfluss auf seine weitere musikalische Bildung ausübten. Er arbeitete noch ein weiteres Mal für den Schweriner Hof, um dann 1753 endgültig nach Riga zu gehen, wo er bis zu seinem Lebensende als Kapellmeister und Organist wirkte. Zahlreiche Musikgelehrte seiner Zeit würdigten Müthels bedeutende Rolle als Komponist und Musiker in der Ära der Vorklassik.
Léon Berben hat nun eine Gesamteinspielung sämtlicher überlieferter Orgelwerke Müthels vorgelegt, wobei er sich eines interessanten zeitgenössischen Instruments versichert hat, nämlich der Orgel des Franciscus Volckland von 1729 in der Lukas-Kirche im thüringischen Mühlberg. Diese Orgel besitzt alle (typischen) Qualitäten eines größeren zweimanualigen Instruments je­ner Zeit in Mitteldeutschland: Gravität, runde Plena und zahlreiche „amable“ Klangfarben. Das Instrument wurde im 19. Jahrhundert behutsam durch den Orgelbauer Ernst Friedrich Hesse (1823) umdisponiert, ohne den ursprünglichen Klang zu stark zu verändern. 1995 bis 1997 erfolgte eine mustergültige Restaurierung durch die 1991 gegründete thüringische Manufaktur Orgelbau Waltershausen.
Das hier eingespielte Repertoire – sechs Fantasien, ein Präludium und insgesamt vier Choralbearbeitungen – ist adäquat und musikalisch überzeugend realisiert, wozu Berbens Bemühen um transparente („verständliche“) Tempi in den formal nachgerade zerklüfteten Fantasien (Fugenfantasie in C!) nebst seiner stets klaren Artikulationsart entscheidend beiträgt.
Gewöhnungsbedürftig ist der durchgängig sehr trockene (natür­liche) Raumklang der Mühlberger Kirche, trotz der ansonsten tadellosen mehrspurigen Aufnahme. Auch sind manche Tempi in dem spröden Klang­raum eine Idee zu behäbig. Dennoch sei Berbens Müthel-Intégrale dem interessierten Orgelfreund wärmstens ans Herz gelegt.

Christian Brembeck