Hakim, Naji

Orgelwerke

Verlag/Label: Ambiente ACD-2032 (2014)
erschienen in: , Seite 61

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Naji Hakim ist in der Organistenszene eine längst etablierte, nicht minder schillernde wie umtriebige Künstlerpersönlichkeit. Der ehemalige Titularorganist der Basilika Sacré-Cœur auf dem Pariser Montmartre und der Église de la Sainte-Trinité in Paris lehrt als Professor für musikalische Analyse am Conservatoire in Boulogne-Billancourt und als Gastprofessor an der Royal Academy of Music in London. Als Konzertorganist und Improvisator konzertiert er weltweit; viele seiner Kompositionen wurden mit Preisen ausgezeichnet.

Einigen von Hakims „Klassikern“ für die Orgel hat der Kölner Organist Christoph Kuhlmann nun eine ganze CD gewidmet, wobei es sich durchweg um frühe Kompositionen aus den 1980er Jahren handelt. Man spürt deutlich die fast eruptiv anmutende Energie und Inspiration, von denen diese Stücke durchdrungen sind – Eigenschaften, die spätere Werke Hakims nicht mehr in gleichem Maße aufweisen.

Naji Hakims Schöpfungen haben meist einen religiösen Bezug und können von diesem losgelöst eigentlich nicht adäquat betrachtet werden. So durchziehen die meis­ten Opera quasi leitmotivisch biblische Zitate, gregorianische Motive oder auch teilweise mathematische Gesetzmäßigkeiten wie der Bezug auf die als Ordnungsprinzip auftretende Fibonacci-Reihe beim ersten Satz der Symphonie en trois mouvements, einer wirklich sehr beeindruckenden Musik. Auch Embrace of fire, das auf ein Werk von Père Daniel-Ange, den Gründer von „Jeunesse Lumière“, mit Meditationen zur berühmten Dreifaltigkeitsikone aus dem Jahr 1411 von Andrei Rubljow Bezug nimmt, ist ein packendes Stück voller Spannungen und Kontraste. Memor wiede­rum beschreibt der Komponist als ein Sinnieren über die für das menschliche Leben existenziellen Themen Tod und Auferstehung. Die Hommage à Igor Stravinski entstand aus Verehrung für diesen Komponisten und trägt passagenweise in der Faktur durchaus dessen Stilmerkmale. Dieses Opus gehört sicherlich zu Hakims besten und auch am schwersten zu spielenden Orgelwerken. Dabei verharrt der Personalstil des Komponisten, der sich durch eine Mixtur von klassischen europäischen Kompositionstraditionen, Messiaen’schen Modi, „orientalisch“ anmutenden Tonleitern, an Strawinsky und Bartók gemahnende Rhythmik und seine typischen ostinaten Spielfiguren auszeichnet, bei aller vorkommenden Dissonanz und Herbheit der musikalischen Sprache stets auf dem Boden der Tonalität.

Die große (pneumatische) Orgel der Marienbasilika Kevelaer – mit ihren 128 Registern eines der hierzulande größten romantischen Instrumente – meistert ihre Aufgabe, die ursprünglich für große Kathedralorgeln à la Cavaillé-Coll intendierte Musik adäquat darstellen zu können, sehr gut, wobei besonders auch die 1987 hinzugekommenen Chamaden „authentisch“ klingen. Lediglich das Pedal, das bei großen französischen Instrumenten im Tutti bis ins Mark ergreifen und erschüttern kann, geht da etwas sanfter zu Werk und kann diese Art von Monumentalität nicht ganz erreichen. Die Seifert-Orgel bietet ansonsten eine Fülle von Farben und Schattierungsmöglichkeiten, die ihresgleichen sucht.

Das sehr informative dreisprachige Booklet ist zugleich eine „Hommage à Hakim“ des spielerisch hier hervorragend agierenden Interpreten Kuhlmann – quasi ein franko-affines Bekenntnis zum Komponis­ten und seiner Stilistik.

Als „Konzertprogramm“ ist diese CD sicher nicht gedacht – ist man nach dem Durchhören von der Klangwucht, Komplexität an Energie und teilweise überschäumenden Vitalität doch ziemlich erschlagen –, sondern sicher eher als musikalische „Bibliothek“ von qualitativ hochwertigen „Chef d’œuvres“ dieses französischen Ausnahmekünstlers.

 

Christian von Blohn