Werke von J. S. Bach, Bossi, Duruflé, Jongen, Liszt, Mendelssohn, Vierne

Orgelpunkt: Sauer Organ Glocke | Bremen

Lea Suter, Stephan Leuthold, Felix Mende und David Schollmeyer, Orgel

Verlag/Label: Dabringhaus und Grimm, SACD, MDG 951 2201-6 (2021)
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2021/03 , Seite 60

Bewertung: 4 von 5 Orgelpfeifen

Der Bremer Konzertsaal „Die Glo­cke“, erbaut 1926/28, überstand den Krieg und gilt als einer der akus­tisch besten in Europa. 1928 wurde seine große Sauer-Orgel (IV + P/73 + 3 Transmissionen) eingeweiht. An der Planung war womöglich Domorganist Eduard Nössler beteiligt; Hans-Joachim Falckenberg wies da­rauf hin, dass „manches an die Veränderungen erinnert, die er an der Bremer Domorgel vornehmen ließ“ (Ars Organi 32, 1984, S. 190). Dabei ging es um erste Auswirkungen der Orgelbewegung, wie sie von der Freiburger Praetorius-Orgel von 1921 und der Orgeltagung 1926 ausgingen. Kaum zwei Jahre danach finden sich in Bremen Schwiegel und Blockflöte, Rankett, Krummhorn und Singend Regal im II. Manual, im Pedal Singend Kornett 2’ und Sordun 32’. Das lange vernachlässigte Instrument wurde 1981/83 von der Berliner Werkstatt Schuke gereinigt und spielbar gemacht, 2005/08
restaurierte es die Orgelwerkstatt Christian Scheffler aus Sieversdorf grundlegend.
Ausgangspunkt dieser Aufnahme war der Podcast Glocke Orgel digital, den Lea Suter, Stephan Leuthold, David Schollmeyer und Felix Mende im Frühjahr 2020, während des ers­ten Corona-Lockdowns, begonnen hatten; zwölf Folgen sind auf YouTube zu hören. Aus der ausgiebigen Beschäftigung mit dem bislang kaum auf Tonträger dokumentierten Instrument reifte das Aufnahmeprojekt, das im August 2020 mit dem Label Dabringhaus und Grimm umgesetzt wurde. Den Leerstand begriffen die Beteiligten hier als Chance – offenkundig mit Erfolg.
Wie die Orgel in der wunderbaren Aufnahme porträtiert wird, lässt sie die orgelbewegten Registernamen vergessen: geschmeidig und weich in allen dynamischen Stufen, von den dichten Grundstimmenfarben bis zum gerundeten Tutti. Auch das Plenum, vorgestellt etwa von Lea Suter in Bachs Fantasie und Fuge g-Moll BWV 542, leuchtet mild, alles Quintige, jede Schärfe ist vermieden. Suter schließt mit großer Ruhe die 2. Fantasie von
Jehan Alain an – in kaleidoskopischen Farben, die auch die zarten Aliquote einbeziehen.
Domorganist Stephan Leuthold beginnt das Programm virtuos mit einer Bearbeitung des Klavier-Präludiums mit Fuge e-Moll op. 35/1 von Mendelssohn, in dem die Zungenbässe sich kraftvoll bemerkbar machen; später folgen Liszts Consolation Des-Dur – unter anderem mit einem poetischen Quintatön – sowie „Sicilienne“ und „Toccata“ aus Duruflés Suite op. 5. Erleben lässt sich hier, außer Leutholds stilsicherer Brillanz, die Schwellwirkung des III. Manuals und das kräftige Tutti.
Marco Enrico Bossis Variationen op. 115 instrumentiert Felix Mende wirkungsvoll mit Streicher-, Ensemble- und Zungenfärbungen; vielleicht fehlt es etwas am konzer­tanten Feuer. Den Schluss macht David Schollmeyer mit Joseph Jongens Chant de Mai op. 53/1 und Scherzetto op. 108, in denen er weiche Mischfarben von der zartesten Schwebung bis zu lebhaften Flöten-Ensembles entfaltet. Das französisch-sinfonische Potenzial der Orgel bringt er schließlich im Finale von Louis Viernes 6. Sinfonie überzeugend zur Geltung.

Friedrich Sprondel