Orgellandschaft Litauen / Organ Landscape Lithuania
4 Pfeifen
Litauen war infolge seiner geografischen Lage zwischen Russland, Polen und Ostpreußen Jahrhunderte lang unterschiedlichen kulturellen Einflüssen ausgesetzt. Dieses Faktum schlägt sich auch in der Charakteristik der hierzulande kaum zur Kenntnis genommenen litauischen Orgellandschaft nieder: Während das Gebiet des ehemaligen Großherzogtums Litauen durch die politischen Unionen mit dem Nachbar Polen tief katholisch geprägt ist, verfügt das Memelland (heute: Kleinlitauen) über eine maßgeblich durch (Ost-)Preußen beeinflusste protestantische Kirchengeschichte.
Entsprechend teilt sich das heutige Litauen konfessionell und auch orgelgeschichtlich in zwei mehr oder minder getrennte Gebiete. Der protestantische Norden besitzt mit einem um 1680 gebauten Positiv das älteste (zumindest in Teilen) erhaltene Orgelwerk Litauens überhaupt, das sich heute in der Franziskanerkirche zu Kretinga befindet. Aus dem 18. und 19. Jahrhundert sind insgesamt etwa sechzig zum Teil größere Orgelwerke in mitunter gutem Zustand erhalten, ebenso einige bemerkenswerte Werke aus dem frühen 20. Jahrhundert. Diese Orgeln stammen auch von litauischen, zu einem nicht geringen Teil aber von namhaften polnischen oder deutschen Orgelbauern wie Biernacki oder E. F. Walcker aus Ludwigsburg. Insgesamt finden sich im heutigen Litauen rund 400 Orgeln.
Einen repräsentativen Querschnitt durch diese für manchen wohl unvermutet reiche bzw. polychrome baltische Orgellandschaft mit insgesamt zehn dokumentierten Instrumenten aus der Erbauungszeit zwischen 1680 und 2000 bietet die von dem Stralsunder Marienorganisten Martin Rost in der CD-Reihe Orgellandschaften / Organ Landscapes veröffentlichte Sequenz. Rost bringt in bewährt souveräner Weise ausgewählte Instrumente mit Originalkompositionen zum Erklingen, die im unmittelbaren Zusammenhang zur Orgellandschaft (bzw. im Idealfall zum jeweiligen Instrument) stehen. Dabei erhält der Hörer nie den Eindruck, es handele sich um unbedeutende, marginale Musik ein klarer Beweis für die durchweg engagierte und geistreich-lebendige Interpretation Rosts, der gerade auch die Opuscula so genannter Kleinmeister mit spielerischer Eleganz und Ernsthaftigkeit zu vermitteln vermag und damit folglich auch ein farbiges authentisches Bild der litauischen Orgel(musik)kultur.
Dass hierbei kein geschönter bzw. geglätteter Höreindruck intendiert wird, sondern bewusst der naturalistische Realitätsbefund der ausgesuchten Orgeln dokumentiert ist, macht die Dokumentation eigentlich umso seriöser und letztlich auch reizvoller. So findet sich im Rahmen dieser Klangdokumentation auch die 1789 erbaute Orgel der Klosterkirche zu Tytuivenai (II/25/ P), die eigens für die Tonaufnahmen in
einen notdürftig bespielbaren Zustand versetzt wurde; ebenso das nahezu vollkommen original erhaltene Werk Adam Gottlob Casparinis (1776) in der Dominikanerkirche zu Vilnius (II/31/P), bei dem zum Zeitpunkt der Tonaufnahmen gerade zwei Register funktionstüchtig waren, die gleichwohl eine beeindruckende sonore Fülle des Klangs und spätbarocken Schmelz entfalten.
Ein ausführliches 32-seitiges Booklet auf Deutsch und Englisch mit detailreichen Informationen zur Orgellandschaft sowie den eingespielten Orgeln und Werken vervollständigen diese wirklich empfehlenswerte organophile Audio-Dokumentation.
Fabian Brackhane