Orgellandschaft Litauen / Organ Landscape Lithuania

Verlag/Label: Darbringhaus & Grimm, MDG 319 1559-2 (2009)
erschienen in: organ 2009/03 , Seite 55

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Litauen war infolge seiner geografischen Lage zwischen Russland, Polen und Ostpreußen Jahrhunderte lang unterschiedlichen kulturellen Einflüssen ausgesetzt. Dieses Faktum schlägt sich auch in der Charakteristik der hierzulande kaum zur Kenntnis genommenen litauischen Orgellandschaft nieder: Wäh­rend das Gebiet des ehemaligen Groß­her­­zogtums Litauen durch die politischen Unionen mit dem Nachbar Polen tief katholisch geprägt ist, verfügt das Memelland (heute: Kleinlitauen) über eine maßgeblich durch (Ost-)Preußen beeinflusste protestantische Kirchengeschichte.
Entsprechend teilt sich das heutige Litauen konfessionell und auch orgelgeschichtlich in zwei mehr oder minder getrennte Gebiete. Der protestantische Norden besitzt mit einem um 1680 gebauten Positiv das älteste (zumindest in Teilen) erhaltene Orgelwerk Litauens überhaupt, das sich heute in der Franziskanerkirche zu Kretinga befindet. Aus dem 18. und 19. Jahrhundert sind insgesamt etwa sechzig zum Teil größere Orgelwerke in mitunter gu­tem Zustand erhalten, ebenso einige bemerkenswerte Werke aus dem frü­hen 20. Jahrhundert. Diese Orgeln stammen auch von litauischen, zu einem nicht geringen Teil aber von namhaften polnischen oder deut­schen Orgelbauern wie Biernacki oder E. F. Walcker aus Ludwigsburg. Insgesamt finden sich im heutigen Litauen rund 400 Orgeln.
Einen repräsentativen Querschnitt durch diese für manchen wohl unvermutet reiche bzw. „polychrome“ baltische Orgellandschaft mit insgesamt zehn dokumentierten Instrumenten aus der Erbauungszeit zwischen 1680 und 2000 bietet die von dem Stralsunder Marienorga­nis­ten Martin Rost in der CD-Reihe „Orgellandschaften / Organ Landscapes“ veröffentlichte Sequenz. Rost bringt in bewährt souveräner Weise ausgewählte Instrumente mit Originalkompositionen zum Erklingen, die im unmittelbaren Zusammenhang zur Orgellandschaft (bzw. im Idealfall zum jeweiligen Instrument) stehen. Dabei erhält der Hörer nie den Eindruck, es handele sich um „unbedeutende“, marginale Musik – ein klarer Beweis für die durchweg engagierte und geistreich-lebendige Interpretation Rosts, der gerade auch die Opuscula so genannter „Kleinmeis­ter“ mit spie­lerischer Eleganz und Ernsthaftigkeit zu vermitteln vermag und damit folglich auch ein farbiges authentisches Bild der litauischen Orgel(musik)kultur.
Dass hierbei kein geschönter bzw. geglätteter Höreindruck intendiert wird, sondern bewusst der natura­listische Realitätsbefund der ausgesuchten Orgeln dokumentiert ist, macht die Dokumentation eigentlich umso seriöser und letztlich auch reizvoller. So findet sich im Rahmen dieser Klangdokumenta­tion auch die 1789 erbaute Orgel der Klosterkirche zu Tytuivenai (II/25/ P), die eigens für die Tonaufnahmen in
einen notdürftig bespielbaren Zustand versetzt wurde; ebenso das nahezu vollkommen original erhaltene Werk Adam Gottlob Casparinis (1776) in der Dominikanerkirche zu Vilnius (II/31/P), bei dem zum Zeitpunkt der Tonaufnahmen gerade zwei Register funktionstüchtig waren, die gleichwohl eine beeindru­ckende so­nore Fülle des Klangs und spätbarocken Schmelz entfalten.
Ein ausführliches 32-seitiges Book­let auf Deutsch und Englisch mit detailreichen Informationen zur Or­gel­landschaft sowie den eingespielten Orgeln und Werken vervollständigen diese wirklich empfehlenswerte organophile Audio-Dokumentation.

Fabian Brackhane