Günter Lade

Orgel und Organisten der Kathedrale Notre-Dame in Paris

Band II (L’orgue français. Literatur französischer Orgelkunst in deutscher Sprache 5)

Verlag/Label: Schönau-Siebenhaus 2020, 646 Seiten, zahlr. Abb.
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2021/01 , Seite 54

Knapp dreieinhalb Kilo bringt der zweite Band der Monografie über Orgel und Organisten der Pariser Kathedrale Notre-Dame auf die Waage, den Günter Lade nach Jahrzehnten der Beschäftigung mit diesem Sujet vorgelegt hat. Allein das ist schon beachtlich. Gefüllt sind die 646 Seiten im Format DIN A4 mit unzähligen Dispositionen, Bildern, Originaldokumenten, Zitaten und natürlich einem detaillierten Text über die damaligen Organis­ten der Kathedrale, Louis Vierne und Léonce de Saint-Martin, mit denen die Geschichte des Instruments auf das Engste verwoben ist. Dies musste auch Lade bei der Beschäftigung mit der Materie feststellen, weshalb er sich dazu entschloss, beides miteinander zu verschränken. Das Ergebnis ist nicht nur gewichtig, sondern auch beeindruckend.
Dies zumal, wenn man berücksichtigt, dass nicht nur die Beschaffung, Bewältigung und Gewichtung des Materials in dieser Menge wie eine geradezu herkulische Aufgabe anmutet, die Lade zudem noch gewissermaßen im Nebenerwerb zu erledigen hatte, sondern auch, dass er dabei durch einige schicksalhafte Ereignisse zum Teil weit zurückgeworfen wurde. Nötigt also schon die Vollendung dieser Aufgabe einen gewissen Respekt ab, ist das davon unabhängige Fazit auch aus inhaltlicher Sicht ausgezeichnet.
Lade verlangt vom Leser seines Opus allerdings den gleichen langen Atem, den er selbst beim Schreiben gehabt hat. Das Verweben der Biografie der beiden Titulaires mit der Geschichte des Instruments bedingt, dass man öfter von einem zum anderen Thema wechselt und man sich manche, ausschließlich die persönlichen Biografien oder die Genese des Instruments betreffende Entwicklungslinie erst zusammensuchen muss.
Als roten Faden hat Lade die Biografien Louis Viernes und Léonce de Saint-Martins gewählt, die chronologisch schlüssig und einer ebensolchen Dramaturgie folgend abwechselnd erzählt werden. In diesen roten Faden hat er – an Band I seiner Monografie anschließend – die Geschichte der Cavaillé-Coll-Orgel eingewoben; sie scheint – allerdings nur auf den ersten Blick – fast zu einer Nebensache zu werden, wird aber dennoch erschöpfend dokumentiert. Bereichert wird Band II durch eine Fülle von ausführlichst herangezogenen Originaldokumenten: Briefe, Aussagen, Bilder etc. Allein die Menge ist beeindruckend, da Lade wirklich an nichts spart und beispielsweise im übersetzten Wortlaut einen gut dreiseitigen Brief Viernes an den Rektor von Notre-Dame veröffentlicht, in dem Vierne seinen Streit mit Dupré aus seiner Sicht beschreibt. Das ist genauso aufschlussreich wie eine Menge anderer Zitate und Äu­ßerungen, die nicht nur dieses Thema in einem neuen Licht erscheinen lassen. Auch so skurrile Episoden wie etwa das Engagement Léonce de Saint-Martins für die radio-synthetische Orgel – eine kuriose, nur ein einziges Mal realisierte Kreuzung zwischen Pfeifenorgel und Elektronium – werden ebenso erhellend wie erschöpfend beschrieben.
Insgesamt ist das Buch eine wahre Fundgrube an Dokumenten, Geschichten und Erkenntnissen. Günter Lade hat hier in beeindruckender Vollständigkeit die Geschichte der Orgel und der Organisten der Pariser Kathedrale Notre-Dame zusammengetragen – ein in dieser Gesamtschau und Detailfülle einzigartiges Unterfangen. Komplettiert wird der Band durch ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis, Orts- und Personenregister und alle üblichen Nachweise (jeweils für beide Bände!), die für eine wissenschaftlichen Maßstäben genügende Arbeit unerlässlich sind. Band II ist allerdings noch nicht das Ende der Geschichte. Band III ist derzeit in Vorbereitung und könnte – so die Ankündigung – anlässlich der zu erwartenden Einweihung des nach dem Feuer vom April 2019 re­staurierten Instruments von Notre-Dame vorgestellt werden. Denn die Geschichte der legendären Orgel und ihrer Titulaires birgt noch viel Wissenswertes.

Guido Krawinkel