Organum XX
Stationen österreichischer Orgelkultur im 20. Jahrhundert (= Wiener Beiträge zu Orgel und Kirchenmusik, Band 4)
Anton Heiller (1923–79) gehört zu den bedeutendsten Organistenpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Als Interpret, Improvisator, Komponist, Pädagoge und Organologe genießt er internationales Ansehen. Unmittelbar nach seinem Studium an der Wiener Musikhochschule von April 1941 bis Juni 1942 (Fächer Orgel, Klavier, Cembalo und Musiktheorie) wurde er zum Militärdienst eingezogen. 1945, im Alter von nur 22 Jahren, erhielt er an der Wiener Musikhochschule eine Professur für Kirchenmusik (Fächer Orgel, Tonsatz und ab 1969 Kirchliche Komposition). Der Gewinn des ersten Preises 1952 beim Improvisationswettbewerb in Haarlem machte ihn international bekannt; später wirkte er in Haarlem als Dozent und übte dort einen großen Einfluss auf die Teilnehmer aus. Zu Heillers Schülern zählen u. a. Martin Lücker, Michael Radulescu, Peter Planyavsky, Roman Summereder, Ekkehard Schneck und Ernst Triebel.
In dieser umfassenden Dokumentation und Würdigung beschreibt Roman Summereder in dem Kapitel „Heiller, Hindemith und andere – Eine Studie zur Aufführungspraxis im 20. Jahrhundert“ die Situation von Orgelbau und Orgelkomposition nach 1945 mit Schwerpunkt bei den Ländern Deutschland und Österreich. Als Komponist und Interpret war Heiller u. a. mit Paul Hindemith und Johann Nepomuk David bekannt. Im Vergleich zu seinen Zeitgenossen verstand er sich als „Komponist der Mitte, der einen Dritten Weg zwischen Tonalität und Dodekaphonie“ beschreitet.
Wolfgang Kreuzhuber schildert den ereignisreichen Weg von der Planung einer Hauptorgel für den Neuen Dom in Linz bis zur Fertigstellung der „Rudigier-Orgel“ durch die Firma Marcussen (70/IV/P) im Jahr 1968 („eine der besten Orgeln der Welt“). Zu den ersten Spielern dieser Orgel gehörten neben Anton Heiller auch Hans Haselböck und Gaston Litaize. Ein Interview, das Wolfgang Kreuzhuber 2016 mit Albrecht Buchholz, dem Intonateur der Rudigier-Orgel, führte, rundet das Gesamtbild dieses überwältigenden Instruments ab und leitet zur von Peter Planyavsky verfassten Baugeschichte der Hradetzky-Orgel (1968) in St. Ursula in Wien über, die eine vergleichbare Wirkung auf den Orgelbau und die Orgelszene in Österreich ausübte.
Die beigefügte CD enthält außergewöhnliche Tondokumente. Anton Heiller spielt an der Rudigier-Orgel eine Improvisation über „Ave maris stella“ sowie Max Regers Choralfantasie Wachet auf, ruft uns die Stimme op. 52, 2 (Aufnahmen von 1968 und 1973). Außerdem interpretiert Peter Planyavsky Heillers Ecce lignum crucis an der Orgel der Wiener Ursulinenkirche (Aufnahme von 1970).
Den Herausgebern, Autoren und Gestaltern ist großer Dank für dieses lesenswerte, sprachlich ausgefeilte Buch (auch versehen mit Faksimiles von Autographen) auszusprechen. Es setzt die Reihe bedeutender Orgelpublikationen aus Österreich aus vergangenen Jahren fort.
Achim Seip