Zoltán Kodály

Organ Works

Mit weiteren Werken von E. von Dohnányi, V. Novak, B. A. Wiedermann und M. Sokola. Iain Quinn an der Chororgel der Peachtree Road United Methodist Church in Atlanta, Georgia (USA)

Verlag/Label: Naxos 8.574544 (2024)
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2024/04 , Seite 62

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Der schlichte Titel Kodály – Organ Works hält (viel) mehr, als er verspricht. Das ist die erste positive Überraschung bei der Beschäftigung mit diesem wahrhaft gehaltvollen Album. Es umfasst nicht nur sämtliche (!) Orgelwerke von Zoltán Kodály (1882–1967) nebst Gábor Trajtlers Transkription von dessen Epigrammák (1954), sondern da­rüber hinaus Orgelkompositionen von Zeitgenossen Kodálys, die man auf Tonträgern sonst kaum findet. Die Fantasie in c-Moll (1892) von Ernst von Dohnányi (1877–1960), ein Jugendwerk des Komponisten, erklingt hier sogar als Welterstein­spielung. Auch wenn der damals erst 15-Jährige damit das Rad nicht neu erfand und hörbar in Bachs Spuren wandelte, zeugt es doch von großer Könnerschaft im souveränen Umgang mit dem Instrument und seinen „Spielregeln“.
Wie Dohnányi hinterließ auch der aus dem heutigen Tschechien stammende Vítězslav Novak (1870– 1949) nur ein einziges Werk für Orgel: Preludium na valašskou píseň (Präludium über ein walachisches Volkslied, 1949 oder vorher). Dieses Spätwerk war möglicherweise Teil einer größer angelegten Komposition, ist aber mit seinen gedämpften tonalen Kontrasten und seinen gedeckten Klangfarben auch so ein echtes Kleinod der slawischen Orgelliteratur. Dies gilt auch für die Pastorale dorico (1942) des ebenfalls aus dem heutigen Tschechien stam­menden Komponisten und Organis­ten Bedřich Antonín Wiedermann (1883–1951). Obschon in dunkler Zeit geschrieben, als die Nazis das Land besetzten, hat dieses Werk, das genau wie sein Vorbild, Bachs Toccata und Fuge BWV 538, auf dem dorischen Modus beruht, nichts Bedrohliches an sich. Die fried­lichen Töne überwiegen, Wiedermanns zarte Pastorale beginnt und endet ruhig.
Nach diesen drei „Vorspielen“ von Dohnányi, Novak und Wiedemann folgen die Werke von Zoltán Kodály, beginnend mit der (von Trajtler bearbeiteten) Sammlung der Epigramme aus Kodálys später Schaffenszeit. Der überwiegend lyrische Charakter dieser Sammlung erklärt sich aus der Tatsache, dass die Epigramme ursprünglich für Gesang und Klavier konzipiert wurden. Man kann Trajtlers Arrangement für die Orgel nicht anders denn als kongenial bezeichnen, genau wie Iain Quinns einfühlsame Darbietung dieser neun kurzen Charakterstücke.
Nach dem kurzen Praeludium in Des-Dur (1931), das ursprünglich als Vertonung des geistlichen Textes „Pange lingua“ gedacht war und das mit seinen vielen Register- und Dynamikwechseln dem Organisten alle Möglichkeiten bietet, die Orgel leuchten zu lassen, folgt mit Csendes mise – „Organoedia ad missam lectam“ (1940–42, rev. 1966) das Hauptwerk des Albums. Zusammen mit der Sinfonie in C-Dur (1961) ist diese „Low Mass“ Kodálys wichtigstes nicht-chorisches Werk aus der Nachkriegszeit. Iain Quinn und die herrlich klingende, 106 Register starke Orgel (2002) der Londoner Firma Mander Organs laufen hier zur Hochform auf. Die Passacaglia quasi toccata na téma B–A–C–H (1963) von Miloš Sokola (1913–76) setzt den starken Schlusspunkt eines hochspannendes Albums mit (viel zu) selten gespieltem Repertoire.

Burkhard Schäfer