William Byrd (1543–1623)

Organ Works

Pieter-Jan Belder an der Albert Kiespenning-Orgel der Grote Kerk, Wijk bij Duurstede (Niederlande)

Verlag/Label: 2 CDs, Brilliant Classics 97125 (2024)
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2024/04 , Seite 59

Bewertung: 4 von 5 Pfeifen

Diese Einspielung legt 25 Kompositionen William Byrds, die mit einiger Sicherheit der Orgel zugewiesen werden können, vor: kurze liturgische Cantus-planus-Bearbeitungen, abwechslungsreiche Hexachord-Fantasien, Voluntaries und kurze Praeludien in Verbindung mit teils polyphonen, teils toccaten-ähnlichen Fantasien; hinzu kommen die eher Virginal-tauglichen Stücke The Queens Alman und Pavana Lachrymae (nach John Dowland). Dieses Repertoire bietet neben einer hohen satztechnischen Qualität einige Überraschungen, z. B. das Erklingen der Liedmelodie Will you walk the woods so wilde in einer Hexachord-Fantasie oder multilaterale Selbstzitate Byrds. Insbesondere sei­ne Fantasien stellen sich als klangschöne, strukturell intellektuelle und spielfreudige Kompositionen dar. Sie werden durch dieses Album einer unverdienten Vergessenheit entrissen.
Das Booklet (in englischer Sprache) informiert sehr ausführlich über Byrd und seine Orgelwerke. Die Angaben zur Albert Kiespenning-Orgel der Grote Kerk in Wijk sind eher lückenhaft, und deren Disposition wird nicht mitgeteilt.
Pieter-Jan Belder ist ein kompetenter (und namhafter) Interpret Alter Musik auf den Instrumenten Blockflöte, Cembalo, Pianoforte und Orgel, was die vorliegende Einspielung bestätigt. Belders Registrierungen gehen gekonnt und dezent über die Möglichkeiten einer Orgel der Byrd-Ära hinaus und vermeiden so eine klangliche Uniformität der Einspielung – diese Inszenierung wird durch das wunderbare Klangprofil der Orgel in Wijk unterstützt. Belders Personalstil zeichnet sich durch eine brillante Virtuosität, einen reichlichen Gebrauch von Ornamentik und eine lückenlose Kontrolle betonter und unbetonter Taktzeiten sowie der Artikulation im Sinne eines „ordentlichen Fortgehens“ (Wilhelm Marpurg) aus. Damit entwirft Belder das Panoptikum einer hypereleganten, überhitzten und leicht bizarren Stilistik, die den Übergang von der Spät­renaissance zum Frühbarock repräsentiert. Diese Art der Darstellung hat sicher ihre Berechtigung und überzeugt.
Die perfekte Stringenz von Belders Personalstil bedient allerdings kaum die Aspekte Rhetorik und Sentiment. Augenblicke, die den Wunsch „Verweile doch, du bist so schön“ (Johann Wolfgang von Goe­the) erwecken, finden sich nicht. Die vokale Komponente der polyphonen Orgelwerke, z. B. bei der Vorbereitung und der Auflösung von Dissonanzen, wird hier kaum nachvollzogen. Die Behandlung der Orgel als beredter Klangkörper im Sinne eines Sprechen-und-ausklingen-Las­sens von Tönen wird dem Primat einer eher rastlosen Motorik und einer wenig variablen Artikulation geopfert. Trotz dieser Einwände verdienen Belders logische Konsequenz seiner Interpretationen und das Unterfangen, das Orgelschaffen Byrds umfassend zu dokumentieren, Respekt.

Wolfram Syré