Rued Langgaard (1893-1952)
Organ Works 1907–1947
The Rued Langgaard Edition
Im Jahre 1905 hatte das damals elfjährige dänische Musiktalent Rued Langgaard in der Kopenhagener Frederiks-Kirche seinen ersten öffentlichen Auftritt als Organist. Kein Geringerer als Edvard Grieg zollte Langgaards Fähigkeiten in Literaturspiel wie Improvisation damals seine höchste Anerkennung. Doch eine Karriere als Konzertorganist strebte Langgaard nicht an; er setzte eher auf seine Kompositionen, konnte sich aber damit nicht durchsetzen. Seine ästhetische Verwurzelung in Romantik und Symbolismus machte ihn zum Außenseiter im dänischen Musikleben, das vom Klassizismus Carl Nielsens dominiert wurde. Nur mühsam gelang es Langgaard, sein Leben zu fristen; erst im Jahre 1940 erlangte er eine offizielle Stellung als Kathedralorganist in Ribe. Viele seiner Kompositionen, die nach 1920 den Zeitgeschmack nicht mehr trafen, wurden erst im späteren 20. Jahrhundert wieder wahrgenommen. Langgaards visionäre Sfaerernes Musik und seine Sinfonien erlebten seither eine Renaissance wenigstens auf Tonträgern.
In der Folge erhielten auch Langgaards Orgelwerke wieder Aufmerksamkeit, unter anderem durch Einspielungen bzw. Noten-Editionen von Ulrik Spang-Hanssen, Birgitte Ebert, Bendt Viinholt Nielsen und Flemming Friis. Manche Kompositionen waren freilich bisher nur „on demand“ zu erhalten und sind nun durch den vorliegenden Band leichter zugänglich, der zusätzlich vier erstmals veröffentlichte Kompositionen Langgaards für Orgel und Blechbläser wiedergibt: Bearbeitungen von Choral- und Liedmelodien, in denen zum dominanten Orgelpart zwei melodieführende Stimmen für Trompete und Posaune hinzutreten.
Die komplizierte Überarbeitungsgeschichte der einzelnen hier versammelten Orgelwerke Langgaards sowie ihre teilweisen Querbeziehungen zu Messis, Langgards umfangreichem „Orgel-Drama in drei Akten“, wird im Vorwort der Edition ausführlich dargelegt. Was ihre stilistische Haltung betrifft, so sprechen Werktitel wie Fantasia patetica oder Preludio patetico für sich: Bei diesen umfangreichen Kompositionen für Konzertgebrauch wirkt der auf wuchtigen Eindruck berechnete, ähnlich wie bei Franz Liszt eher pianistisch inspirierte Orgelsatz mit seinen häufigen Oktavparallelen in Händen und sogar Pedal gelegentlich fast überladen.
Andere der hier veröffentlichten Stücke sind biblisch inspiriert, so Elias im Sturm, ein Tongemälde, das die Begegnung des Propheten mit Gott erst in wilden, dann in sanften Vox celesta-Klängen schildert. Rätselhaft bleibt die Überschrift der rhetorisch beginnenden, dann in ein ruhigeres „Religioso“ mündenden Fantasie Nemo contra deum nisi dominus ipse. Und ein Fall für sich ist In tenebras exteriores mit dem an die biblische Parabel „Dives et Lazarus“ angelehnten Paralleltitel „Begraben in der Hölle“. Letzteren Titel, der an einer Stelle direkt durch die Tonbuchstaben H–A–D–Es ausgedrückt wird, darf man auch als privaten Aufschrei des sich einsam und verkannt fühlenden Komponisten verstehen.
Gerhard Dietel