Joseph Callaerts

Organ Works

Peter Van de Velde an der Pierre Schyven-Orgel in Our Lady’s Cathedral in Antwerpen

Verlag/Label: Aeolus AE 11151 (2018)
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2018/04 , Seite 61

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Mehr als drei Jahre war sie zum Schweigen verdammt, seit April 2018 erhebt sie nun nach umfangreichen Restaurierungsmaßnahmen wieder machtvoll ihre Stimme: die große symphonische Schyven-Orgel der Liebfrauen-Kathedrale zu Antwerpen. Mit neunzig klingenden Registern ist sie das größte Instrument, das die Brüsseler Werkstätte des Belgiers Pierre Schyven, bedeutender Orgelbauer-Zeitgenosse Ca­vaillé-Colls, jemals verlassen hat. Die Einweihung fand im Jahr 1891 statt. Der erste Organist war Joseph Callaerts, 1830 in Brüssel geboren und seit 1855 an der Liebfrauenkirche amtierend, dem größten Gotteshaus der damaligen Niederlande und ein Höhepunkt brabantischer gotischer Baukunst, das allerdings erst 1961 zur römisch-katholischen Kathedralkirche des neu gegründeten Bistums Antwerpen erhoben wurde.
Werken von Joseph Callaerts (1830–1901) ist die erste CD-Einspielung der restaurierten Orgel gewidmet, realisiert vom „Titulaire“ der Kathedrale Peter Van de Velde: gleichermaßen eine Huldigung an seinen 1901 gestorbenen Vorgänger wie ein Zeichen der Wertschätzung gegenüber dessen Œuvre. Das erweist sich voll und ganz auf der Höhe der Zeit, wenn man zum Vergleich etwa Ale­xandre Guilmant in Frankreich oder Joseph Rheinberger in Deutschland heranzieht. Es ist eine Musik, die auf der einen Seite den großen sinfonisch-orches­tralen Duktus verfolgt (wie etwa die Prèmiere Sonate), auf der anderen Seite das Liedhafte, Lyrische betont, als wolle Callaerts kleine, klingende Genrebilder malen, aus denen eine Geschichte spricht. Stücke wie Elegie, Canzona oder Adoration sind dafür schöne Beispiele. Erst recht die Symphonie pastorale von 1893, die hier zum ers­ten Mal auf Tonträger zu hören ist: In deren Mitte bricht ein veritables Gewitter aus, weitaus hef­tiger als in Beethovens 4. Sinfonie „Pastorale“. Blitze zucken, Donner grollt – die Orgel entfacht ein fulminantes Spektakel, das Peter Van de Velde geschickt in Szene zu setzen weiß.
Überhaupt ist sein Spiel durch und durch geprägt von technischer Brillanz, musikantischem Schwung und sensibler Agogik, die in jedem Moment absolut organisch wirkt. Überraschender Höhepunkt: das sanft mit Flûte harmonique ausgeführte und von der Voix céleste begleitete Larghetto aus Mozarts Klarinettenquintett in Callaerts’ Bearbeitung: ein Stück für die sprichwörtliche einsame Insel …!
Ganz fantastisch klingt die Schyven-Orgel, sowohl was die Einzelstimmen als auch den „gepflegten“ Tutti-Sound angeht: Hier passt alles zusammen. Die Orgelbauwerkstatt Schumacher aus Eupen hat da mit ihrer Restaurierung ganze Arbeit geleistet und einem einzigartigen Denkmal belgischer Orgelbaukunst des ausgehenden 19. Jahrhunderts neues Leben eingehaucht.

Christoph Schulte im Walde