Samuel Barber

Organ Works

Verlag/Label: Dabringhaus & Grimm, MDG 917 2010-6 (2017)
erschienen in: organ 2018/02 , Seite 61

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Musiker an sich gelten gemeinhin als ziemlich eigenbrötlerisch, wobei speziell die OrganistInnen unter ih­nen – zumindest eine Großzahl – für sich noch einmal eine seltsame Spezies sui generis zu bilden scheinen. Sich als kreativer Künstler ein vermeintlich unverwechselbares Profil zu geben, ist heute mehr als angesagt, kann sehr rasch jedoch auch verkrampft und peinlich bemüht wirken. Auffällig ist indes, dass die tatsächlich großen Musiker von Weltrang vielfach gerade nicht mit ostentativ äußerlich zur Schau gestellten Besonderheiten auf sich aufmerksam machen (müssen)!
Rudolf Innig ist als Interpret dem Orgelinteressierten seit Jahrzehnten ein Begriff, ist der einstige Schüler von Gaston Litaize und Michael Schneider auf dem Fonomarkt bei einem Output von bis zu fünf Tonträgern pro Jahr (darunter viele Schallplattenpreise) doch seit 1980 kontinuierlich präsent wie wenige seiner Zunft und damit schon „rekordverdächtig“. Manches mutet dabei wie harte Fleißarbeit an, etwa die Gesamteinspielungen der Orgelwerke von Olivier Messiaen, Josef Gabriel Rheinberger oder Feliks Nowowiejski, etwas „bescheidener“ die überschaubaren Orgelschaffen von Mendelssohn, Brahms, Schumann oder Franz Paul Lachner.
Nun also eine weitere, wenn auch nicht so betitelte Gesamteinspielung. Der US-amerikanische Komponist Samuel Barber (1910–81) ist eine jener „tragischen“ Figuren, denen einst ein „großer Wurf“ gelungen ist und die fortan im alltäglichen Musikgeschäft faktisch auf dieses eine Werk reduziert werden. Die Rede ist von Barbers Adagio for Strings aus dem Jahr 1938, das, ursprünglich für Streichquartett komponiert, vor allem in der Orchesterfassung, später auch in Barbers eigener Fassung für achtstimmigen Chor als Agnus Dei Berühmtheit erlangte – zunächst als Beerdigungsmusik für Roosevelt, John F. Kennedy, Grace Kelly oder auch Albert Einstein, dann aber auch im kollektiven Gedächtnis an 9/11, den 11. September 2001. Auf vorliegender Einspielung nun darf dieses Stück denn auch nicht fehlen. Und so wählt Innig die vom Komponisten selbst gebilligte und miterarbeitete Orgelfassung von William Strickland.
Aber langer Rede kurzer Sinn – schon die Schrift sagt: „Viele sind berufen, doch nur wenige auserwählt!“, will sagen, hier zeigen sich mehr als deutlich die Grenzen der Orgelbearbeitung (und vor allem des gewählten Instruments). Dieses Stück, das so ganz aus der Intensität und Lebendigkeit des Streicherklangs lebt, es wirkt – zumindest auf dieser so durch und durch „teutonischen“ Orgel von Karl Schuke, Berlin, aus dem Jahre 2010 (62/III/P) – deplatziert. Ganz gewiss würde es auf einer spätromantischen angelsächsischen Großorgel vom Typ E. M. Skinners („American symphonic“) mit opulenter „String Division“ etwas von der originalen Streicherfassung erahnen lassen; aber auf einer Orgel, die jeglichen „Weihrauch“ und romantischen sentimentalen Schmelz sowie ätherische Pas­telltöne im pp(pp)-Spektrum vermissen lässt, wirkt das Adagio for Strings wie ein duftiges impressionistisches Feingemälde in einer holzschnittartigen Schwarzweiß-Reproduk­tion, klanglich wie atmosphärisch schlichtweg skelettiert.
Und auch die originalen Orgelwerke Barbers kosten schon erhebliche Mühe, will man beim Anhören nicht gleich weiter- oder auch ganz abschalten. Man hört vielen der Werke an, dass sie Gelegenheitsarbeiten sind, unterschiedlichs­ten Anlässen geschuldete Gefälligkeiten. Kompositionstechnisch hat Barber ohne Zweifel seine Hausaufgaben gemacht. Die auf dieser CD leider nicht vertretene fulminante Toccata festiva für Orgel „with full orchestra“ aus dem Jahre 1960 hätte die Scheibe sicherlich sinnreich abrunden können …
Rudolf Innig als Interpret freilich hat „seine Hausaufgaben gemacht“:?Er spielt gewohnt routiniert und flüssig; aber letztlich bleibt hier kaum mehr als die schlichte Anerkennung für eine (weitere) Fleiß­arbeit in der Liste seiner endlos perpetuierten Diskografie …

Wolfgang Valerius