Organ Music of the 21st Century

Werke von Antti Auvinen, Maija Hynninen, Veli Kujala, Minna Leinonen und Olli Virtaperko. Susanne Kujala an Orgeln des Doms von Turku, der Kallio-Kirche in Helsinki und der St. Paulskirche in Helsinki

Verlag/Label: Alba ABCD 440 (2019)
erschienen in: organ – Journal für die Orgel 2019/03 , Seite 63

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Finnland als Wiege neuer Orgelmusik und vielgestaltige Orgellandschaft über die Ostsee hinaus hörbar zu machen – das liegt der dort lebenden Konzertorganistin Susanne Kujala am Herzen. 1976 in Berlin geboren, daselbst und an der Sibe­lius-Akademie der Kunstuniversität Helsinki ausgebildet, regte die Orgelvirtuosin etliche (sämtlich in den 1970er Jahren geborene) Komponis­tInnen ihrer Wahlheimat zu Werken an, die sie in ihr Repertoire aufnahm.
Ihr Recital Orgelmusik des 21. Jahrhunderts beginnt an der (1980 erbauten) Hauptorgel des Doms zu Turku mit dem 2006 entstandenen Unwetterstück Cyclone ihres Gatten Veli Kujala. Wie der Titel andeutet, dachte Kujala an die Wirbelstürme des Indischen Ozeans. Nach Akkorddonner und niederstürzenden Regenfluten klart der Himmel auf. Im Auge des Zyklons herrscht trügerische Ruhe, bevor der Hurrikan erneut losbricht. Allmählich erschöpft, hinterlässt er Chaos und Friedhofsruhe.
Trois Mondes für Orgel und Live-Elektronik nannte Maija Hynninen 2010/11 ihr Orgel-Triptychon, das Susanne Kujala an der Hauptorgel der St. Paulskirche in Helsinki (erbaut 1931, restauriert 2005) bildkräftig ausmalt. Wie die Komponi­s­tin im Beiheft erläutert, stehen die drei Sätze „Mouvement perpétuel“ (Perpetuum mobile), „La cathédrale engloutie“ (Die untergegangene Ka­­thedrale) und „L’escalier à spirale“ (Die Wendeltreppe) der Musik des Franzosen Jean-Claude Risset nahe, der sie während ihres Studienjahrs am Pariser IRCAM inspirierte; die­sen wiederum betörten die Zauberspiegel des niederländischen Gra­fikers M. C. Escher. Ähnlich den Sinnestäuschungen, die dessen Lithografie Drei Welten im Betrachter hervorrufen, arbeitet die finnische Komponistin mit Oktav-Illusionen. Im ersten Satz irritiert sie den Hörsinn mittels verstimmter Regis­ter. Der zweite Satz nutzt, auf das gleichnamige Prélude von Claude Debussy anspielend, die Fähigkeit der Orgel, Klänge lang auszuhalten und qua Registerwechsel changieren zu lassen. Den Finalsatz beherrschen scheinbar endlos auf- und absteigende Texturen – ähnlich der Escher-Lithografie Klimmen en dalen (Steigen und sinken).
Par Préférence (Vorzugsweise), im Jahr 2009 von Minna Leinonen während ihres Masterstudiums ersonnen und von Susanne Kujala auf der großen Domorgel von Turku in­szeniert, lebt von der Transforma­tion unterschiedlicher Klang­gesten und -konstellationen. Werkauslösend für Dawkins (2007/08) von Olli Virtaperko, das auf der 1995 erbauten Hauptorgel der Kallio-Kirche in Helsinki erklingt, war das Phänomen der Schallausbreitung im Hallraum großer Kirchen. Seinen Titel wie auch die Satzüberschriften verdankt das Triptychon dem britischen Evolutionsbiologen Daw­kins (Das egoistische Gen). Single Ex­celsis schließlich, von dem Musikdramatiker Antti Auvinen 2012 aus dessen Triple Excelsis für Susanne Kujala kondensiert und von ihr auf derselben Orgel dargeboten, forscht den obertonbedingten Vibrationen und der unterschiedlichen „Anspra­che“ der Orgelregister nach.

Lutz Lesle