Heinrich Scheidemann
Organ Music
Hilger Kespohl an der Arp Schnitger-Orgel von St. Pankratius in Neuenfelde
Bewertung: 5 von 5 Pfeifen (= Referenz)
Selbst wenn Organist, Orgelbauer und Tonmeister ihr Bestes geben: Einspielungen auch von anspruchsvollsten Werken Alter Meister reichen selten an das Hörerlebnis im Raum selbst heran. Diese beiden Aufnahmen sind hierzu wohltuende Gegenbeispiele. Die durch Kristian Wegscheider (Dresden) vorzüglich restaurierte Schnitger-Orgel von 1688 wird hier ebenso vorteilhaft präsentiert wie die kluge Auswahl aus dem Œuvre der beiden an Hamburger Hauptkirchen wirkenden Vertreter der großen norddeutschen Orgelkunst im 17. Jahrhundert, Matthias Weckmann und Heinrich Scheidemann.
Zutreffend und hier bestens vermittelt ist die Einschätzung von Johann Mattheson von 1740, Matthias Weckmann vermöge „die praetorianische Ernsthaftigkeit mit einer Scheidemann’schen Lieblichkeit zu mäßigen, und also viele galante Erfindungen einzuführen.“ Gemeint ist die wohl große Begabung Weckmanns, die ältere, mitunter etwas steifleinene Chor- und Orgeltradition der Organisten-Dynastie Praetorius mit den gelenkigeren und gefälligeren Wendungen von Heinrich Scheidemann zu kombinieren. Deshalb konnte sich Weckmann 1655 mit einem offenbar brillanten Probespiel erfolgreich als Organist an der Hauptkirche St. Jacobi in Hamburg bewerben, wo man „von Gott beglückt wehre, mit einem Künstler, der Gott und Menschen dienen konte“. – Schon die ersten Takte von Komm Heiliger Geist, Herre Gott ziehen die Hörer förmlich hinein in die Folge von freien und choralgebundenen Kompositionen – ungemein farben- und einfallsreich ausregistriert und stets mit zupackender, dennoch lockerer Hand musiziert.
Großartig ist, dass die beiden Einspielungen auch bezüglich der Komponisten in Zusammenhang stehen: Der Sweelinck-Schüler Heinrich Scheidemann hatte zum etwas jüngeren Matthias Weckmann engen Kontakt; später waren die beiden Kollegen – Scheidemann an der Hauptkirche St. Katharinen in Hamburg. Er nahm durch den weithin bekannten Johann Jacob Froberger Einflüsse aus Süddeutschland bzw. Italien auf und entwickelte die clavieristischen Genres Canzona oder Ballett teils über weltliche Themen weiter. Bereichert wird der hier gebotene Werk-Querschnitt durch Intavolierungen von Vokalmusik und Variationswerke, die noch der römisch-lateinischen Tradition folgen, also gregorianische Cantus firmi verwenden. Selbst bei dieser etwas härteren Kost versiegt Kespohls Spielfreude nie.
Erstaunlich ist, wie elastisch sich in beiden Aufnahmen der Klang der 34-registrigen Orgel, eine der wenigen, die Schnitger ganz neu baute, formen lässt: In einigen Passagen türmen sich wuchtige, dennoch gleißende Plena über bohrenden Pausenentönen im Pedal. In manchen Choralversen dagegen oder in Scheidemanns Canzona wird sie zum zarten Kammerinstrument, fast zu einem Cembalo oder zu einer Vogeluhr. Die ausgefeilten Registrierungen sind in den Booklets minutiös vermerkt; leider fehlt bei Vol. 1 die Orgeldisposition (eine Seite dafür ist frei). Die Kommentare gehen in angemessener Dosis und flüssig lesbaren Texten auf die Viten der Komponisten, ihr Orgelschaffen und das einmalige barocke Neuenfelder Kirchen-Ensemble ein.
Heinrich Scheidemann und Matthias Weckmann schufen ungemein komplexe Musik. Dies gilt für ihre Satzstruktur mit anspruchsvollen Kanonführungen und bizarren Echo-Effekten ebenso wie für ihren technischen Anspruch: In raschen Läufen sind Verzierungen auszuführen, dazu oft noch Register- oder Manualwechsel zu bewältigen; auch harmonisch ist stets Interessantes geboten. All dies bewältigt der Interpret mit Leichtigkeit. Das Wichtigste aber ist, dass es Hilger Kespohl versteht, ungemein fröhlich Orgel zu spielen. Welche Freude entfalten diese Herrlichkeiten erst im festlichen Barocksaal der Neuenfelder Kirche bei Konzerten – und besonders im Gottesdienst!
Zutreffend und hier bestens vermittelt ist die Einschätzung von Johann Mattheson von 1740, Matthias Weckmann vermöge „die praetorianische Ernsthaftigkeit mit einer Scheidemann’schen Lieblichkeit zu mäßigen, und also viele galante Erfindungen einzuführen.“ Gemeint ist die wohl große Begabung Weckmanns, die ältere, mitunter etwas steifleinene Chor- und Orgeltradition der Organisten-Dynastie Praetorius mit den gelenkigeren und gefälligeren Wendungen von Heinrich Scheidemann zu kombinieren. Deshalb konnte sich Weckmann 1655 mit einem offenbar brillanten Probespiel erfolgreich als Organist an der Hauptkirche St. Jacobi in Hamburg bewerben, wo man „von Gott beglückt wehre, mit einem Künstler, der Gott und Menschen dienen konte“. – Schon die ersten Takte von Komm Heiliger Geist, Herre Gott ziehen die Hörer förmlich hinein in die Folge von freien und choralgebundenen Kompositionen – ungemein farben- und einfallsreich ausregistriert und stets mit zupackender, dennoch lockerer Hand musiziert.
Großartig ist, dass die beiden Einspielungen auch bezüglich der Komponisten in Zusammenhang stehen: Der Sweelinck-Schüler Heinrich Scheidemann hatte zum etwas jüngeren Matthias Weckmann engen Kontakt; später waren die beiden Kollegen – Scheidemann an der Hauptkirche St. Katharinen in Hamburg. Er nahm durch den weithin bekannten Johann Jacob Froberger Einflüsse aus Süddeutschland bzw. Italien auf und entwickelte die clavieristischen Genres Canzona oder Ballett teils über weltliche Themen weiter. Bereichert wird der hier gebotene Werk-Querschnitt durch Intavolierungen von Vokalmusik und Variationswerke, die noch der römisch-lateinischen Tradition folgen, also gregorianische Cantus firmi verwenden. Selbst bei dieser etwas härteren Kost versiegt Kespohls Spielfreude nie.
Erstaunlich ist, wie elastisch sich in beiden Aufnahmen der Klang der 34-registrigen Orgel, eine der wenigen, die Schnitger ganz neu baute, formen lässt: In einigen Passagen türmen sich wuchtige, dennoch gleißende Plena über bohrenden Pausenentönen im Pedal. In manchen Choralversen dagegen oder in Scheidemanns Canzona wird sie zum zarten Kammerinstrument, fast zu einem Cembalo oder zu einer Vogeluhr. Die ausgefeilten Registrierungen sind in den Booklets minutiös vermerkt; leider fehlt bei Vol. 1 die Orgeldisposition (eine Seite dafür ist frei). Die Kommentare gehen in angemessener Dosis und flüssig lesbaren Texten auf die Viten der Komponisten, ihr Orgelschaffen und das einmalige barocke Neuenfelder Kirchen-Ensemble ein.
Heinrich Scheidemann und Matthias Weckmann schufen ungemein komplexe Musik. Dies gilt für ihre Satzstruktur mit anspruchsvollen Kanonführungen und bizarren Echo-Effekten ebenso wie für ihren technischen Anspruch: In raschen Läufen sind Verzierungen auszuführen, dazu oft noch Register- oder Manualwechsel zu bewältigen; auch harmonisch ist stets Interessantes geboten. All dies bewältigt der Interpret mit Leichtigkeit. Das Wichtigste aber ist, dass es Hilger Kespohl versteht, ungemein fröhlich Orgel zu spielen. Welche Freude entfalten diese Herrlichkeiten erst im festlichen Barocksaal der Neuenfelder Kirche bei Konzerten – und besonders im Gottesdienst!
Markus Zimmermann