Ignazio Spergher

Organ and Harpsichord Music

Chiara Minali an der Bazzani-Aletti-Zanin-Orgel der Pfarrkirche Paderno di Ponzano (Italien) und am Cembalo (Kopie von G. B. Giusti, Lucca 1681)

Verlag/Label: 3 CDs, Brilliant Classics 95834 (2019)
erschienen in: organ – Journal für die Orgel 2019/04 , Seite 61

Bewertung: 5 von 5 Pfeifen

Wer eigentlich ist Ignazio Spergher (1734–1808), dass sich eine aufwendige dreiteilige CD-Produk­tion einer Auswahl seiner reichen Produktion von Tastenmusik widmet?
Spergher wurde 1734 als Sohn eines österreichischen Einwanderers in Treviso geboren, wo er auch sein ganzes Leben verbrachte. Als Schüler örtlicher Musiker wie der Familie Somaschi sowie von Giambattista Tagliassi und Giordano Riccati erwarb er grundlegende Kenntnisse im Tasteninstrumentenspiel, Tonsatz und Kontrapunkt. Zeitlebens war er in den Diensten reicher Familien, Klöster und Kirchen in Treviso, wie unter anderem als Kapellmeister am dortigen Dom und als Organist an San Nicoló, wo er auch in einem ehrenvollen Grabmal beerdigt wurde. 1778 weihte Ignazio Spergher dort ein großes zweimanualiges Instrument von Gaetano Callido ein, versah den musikalisch reichhaltigen Dienst für die ansässigen Dominikanermönche und un­ter­richtete zahlreiche Schüler in Gesang, Cembalospiel und Komposition. Einer davon, Bortolo Bozzo, wurde sogar als Lehrer an das berühmte Konservatorium „Ospedaletto“ in Venedig berufen.
Ignazio Spergher komponierte Vokal- und Instrumentalmusik, Kirchenmusik und zahlreiche Werke für Tasteninstrumente, die nicht primär für den liturgischen Gebrauch gedacht waren. Die erste CD widmet sich den Sechs Sonaten Opus 1, die von Antonio Zatta 1786 in Venedig zusammen mit Kompositionen von Boccherini, Grazioli, Stablingher, Pfeiffer und Vallpaerti verlegt wurden. Allesamt sind sie dreisätzig, wobei sich die schnellen Eck­sätze ähnlich der Sonatenhaupsatzform in der Abfolge Tonika – Do­minante – Tonika bewegen, motivisch-improvisatorisch jedoch in der venezianischen Orgeltradition des 18. Jahrhunderts stehen. Die langsameren Andantino/Allegretto-Mittelsätze, teilweise auch in Rondo-Form, bevorzugen cantablere Gang­arten. Sparsamer, keineswegs obligater Pedalgebrauch, vorwiegend bei kadenzierenden Passagen in den Ecksätzen, lässt eine Manualiter-Ausführung der äußerst reizenden, etwa zwölf- bis 15-minütigen Sonaten ebenfalls zu.
Weiter geht es auf der nächsten CD mit den Sonaten Opus 6 für Cembalo oder Orgel, datiert aus dem Jahre 1775 (oder 1778, hier gibt das Booklet widersprüchliche Informationen wieder) aus dem Manuskript-Besitz des berühmten Wiener Musikaliensammlers Aloys Fuchs, der nach dessen Tod in der Staatsbibliothek Berlin gelandet ist, sowie Auszügen aus einer zeitgenössischen Sammlung aus der städtischen Bibliothek Trevisos, die auch Kompositionen von Bianchi, Piozzi und anderen enthält. Es sind ebenfalls dreisätzige Kompositionen von ähnlichem Umfang wie die Sonaten Opus 1, werden aber auf dem Cembalo musiziert.
Die dritte CD beinhaltet kürzere, einsätzige Sinfonien und Sonaten aus verschiedenen Quellen, sowie eine wiederum dreiteilige Sinfonia von Umfang der anderen Sonaten und eine längere Pastorale – klingende Zeugnisse einer blühenden privaten Musikkultur, wie sie im 18. Jahrhundert in Häusern und Höfen adeliger und wohlhabender Herrschaften und wohl auch in Klös­tern zur gefälligen Gemütsergötzung praktiziert wurde. Stilis­tisch weist die Musik die typischen Eigenschaften der Tastenmusik eines frühen Niccolò Moretti oder eines Baldassare Galuppi auf und lässt die intelligente Unterhaltungskunst eines Joseph Haydn erahnen.
Größtenteils sind die vorliegenden Aufnahmen Weltersteinspielungen und in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen: Pures Hörvergnügen und Lust auf spielerische Ent­de­ckung dieser Musik ist garantiert. Die verwendeten Instrumente sind zum einen eine für italienische Verhältnisse groß disponierte, zweimanualige Orgel des venezianischen Orgelbauers Giacomo Bazzani aus dem Jahre 1845 in der Pfarrkirche von Paderno di Ponanzo (Treviso), vorbildlich restauriert von Francesco Zanin, und die Kopie eine Cembalos italienischer Bauart nach Gius­tino (Lucca 168) von Roberto Mattiazzo.
Die verdienstvolle Interpretin Chiara Minali, die sich stilbewusst und kenntnisreich der Editierung und Wiederbelebung der Musik Sperghers angenommen hat, studierte Cembalo und Orgel am Veroneser Konservatorium bei Alessio Corti sowie bei S. Bartoli und A. Bugatti und gewann etliche bedeutende Preise bei einschlägigen Cembalo-Wettbewerben. Minali vervollkommnete ihre Ausbildung in zahlreichen Meisterkursen, u. a. bei Radulescu, Murray und Bellotti. Ihr Spiel und die Aufnahmetechnik sind makellos, atmosphärisch inspiriert und kommen der absolut entde­ckungswürdigen Musik Sperghers in allen Aspekten entgegen.
Ein informatives Booklet in englischer Sprache mit allen relevan­ten Angaben vervollständigt diese höchst erfreuliche Veröffentlichung.

Stefan Kagl