Opus Bach 1

Peter Kofler an der Rieger-Orgel der Jesuitenkirche St. Michael in München

Verlag/Label: 5 CDs, Farao Classics, 8 108110 (2019)
erschienen in: organ – Journal für die Orgel 2020/03 , Seite 60

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Wieder eine neue Bach-Serie – muss das sein? Ja und nein! An einschlägigen Aufnahmen herrscht wahrlich kein Mangel, und so fragt man sich, worin das Besondere dieser Sammlung liegt.
Beim Anhören fallen extreme Unterschiede und manche sehr eigenwillige Auffassungen Peter Koflers auf, was Duktus und Atem betrifft; dies kann sogar quer durch einzelne Werke gehen. So wirkt der erste Satz der Triosonate C-Dur gehetzt, während deren Mittelsatz bzw. das Finale in seiner Ruhe bzw. in seiner Quirligkeit schlüssig scheinen. Das oft bis zur romantisierenden Miniatur herabgedimmte A-Dur-Präludium erstrahlt hier als fetziger Aufmacher für eine ganz große Orgel. Federleicht und mit bescheidener, aber klar zeichnender (Rohr)Flöten-Mischung tuscht Kofler die Choralbearbeitung „Wir glauben all an einen Gott“ (BWV 740); derlei Ensembles haben es ihm offenbar angetan, denn sie kehren mehrfach wieder. Im gestreckten Galopp geht es dagegen durch die Ecksätze der d-Moll-Konzertbearbeitung (BWV 596).
Nähere Auskunft zur Intention dieser Einspielung gibt das Booklet (deutsch/englisch): In erster Linie soll Bach als Genius in den Vordergrund gestellt werden, der stets an allem Neuen interessiert war. Deshalb wurde bewusst eine Orgel unserer Tage gewählt. 1982/83 errichtete die Werkstätte Hubert Sandtner in der Münchner Jesuitenkirche eine viermanualige Orgel im baro­cken Fux-Gehäuse, die 2011 durch Rieger Orgelbau reorganisiert wurde. Dabei blieb das Rückpositiv unverändert, dagegen wurde das Brustwerk aufgegeben. Hauptwerk, Récit und Pedal wurden dahingehend optimiert, dass ihre Register nun ähnlich den Instrumentengruppen eines Orchesters angeordnet sind. Hinzu kam als Seitenwerk ein an der deutschen Romantik orientiertes Schwellwerk. Es holt den gesamten Orgelklang weiter nach vorne in den Kirchenraum, was sich selbst in der Aufnahme bemerkbar macht.
Damit sind wir bei einem wei­teren technischen Aspekt, der hier jedoch für die Musik deutliche Gewinne zeitigt: Gewählt wurde das Aufzeichnungsverfahren AURO 3D, das als Verfeinerung bisheriger Surround-Technik mit zehn Kanälen und differenzierter Mikrofonierung arbeitet, dennoch aber mit allen bisher üblichen Geräten abspielbar ist. Selbst bei bescheidenen Abhörverhältnissen erschließt sich die Dreidimensionalität der erneuerten Orgelanlage und damit Peter Koflers Absicht, die Linienführung und Plastizität von Bachs Œuvre hervorzuheben.
Die fünf CDs dieser (ersten) Staffel wurden zwischen 2017 und 2019 aufgezeichnet. Das erklärt die erwähnte unterschiedliche Herangehensweise an die einzelnen Stü­cke, was keineswegs ein Nachteil ist: Hörend und vielleicht auch selbst spielend entdeckt man gleichsam zusammen mit dem Interpreten manche vermeintlich „alten Hüte“ neu und vor allem die so herausfordernde wie auch beglückende Tatsache, dass Interpretation und Rezeption von Tagesformen abhängen. Dies gibt den technischen, mitunter als steril empfundenen Phänomenen Orgel und Einspielung (die Letztere ist auch als Download verfügbar) eine beruhigend mensch­liche Dimension. Selbst wenn man sich mit einigen Interpretationen Peter Koflers nicht (sofort) anfreunden kann, fesselt eben diese weitere Bach-Serie – nicht zuletzt wegen der interessanten Orgel-Struktur; diese stand übrigens für die Erneuerung der Riesenorgel im Wiener Stephansdom Pate.

Markus Zimmermann