Paul Lincke
Operettenmelodien
für Orgel gesetzt von Christian Kropp
Der Zweck heiligt bekanntlich die Mittel. Heiligt ein überwiegend (noch) als sakral assoziierter Klang einer Pfeifenorgel auch jede (noch so) profane Musik? Eine echte Gretchenfrage, sogar eine in doppeltem Sinne. Wenn es eine Grenze zwischen sakraler und profaner Musik denn (überhaupt) gibt – wo genau verläuft sie? Zunehmend stellt sich aber insbesondere bei Konzerten in noch aktiv genutzten Kirchenräumen Gretchens Frage an Faust auch ganz konkret: „Nun sag’, wie hast du’s mit der Religion?“
Dem ausgebildeten Kirchenmusiker und Organisten Christian Kropp, im Hauptberuf Richter im Freistaat Thüringen, der die vorliegenden Operettenmelodien von Paul Linke – wie er selbst schreibt – „gesucht, gefunden, bearbeitet und für Orgel gesetzt“ hat, könnte Gretchen in ihrer Selbstbeantwortung der berühmten Frage an Faust wohl kaum vorwerfen: „… Allein ich glaub’, du hältst nicht viel davon.“ Eher trifft dieses Gretchen-Zitat heute punktgenau den Zustand der Amtskirchen, die wohl noch nie so weltfremd – oder soll man gar sagen: weltabweisend – waren, wie sie uns heute als Institution leider allzu oft erscheinen mögen.
Die Operettenmelodien sind als Schlussstück des Kirmeskonzerts im Thüringischen Mühlhausen entstanden, wo Kropp seit 2001 an der Rühlmann-Orgel von St. Petri-Margarethen wirkt. Und wer wollte ernsthaft behaupten, dass die Kirmes nichts mit Religion zu tun hat? Es war einst mit das höchste Fest im Jahresablauf, der Gedenktag der Kirchweihe; statt gearbeitet wurde während der „Kirchmess“ ausgelassen gefeiert, getanzt und gegessen. Man könnte auch sagen, in ihrem Ursprung hatte die Kirche da samt Kirmes noch ihren Platz im Dorf!
Und so muss man diese Operettenmelodien erst gar nicht als minderwertiges, profanes Zeug abtun. Ist Jazz auf der Kirchenorgel denn grundsätzlich etwas Höherwertiges, nur weil es ein vermeintlich intellektuelleres Klientel bedient? Jede gute Musik zeugt von/vom „Geist“, und wenn sie wie hier gepaart mit unbeschwerter Lebensfreude daherkommt, könnte man sie gar im musikalischen Sinne als echte „Frohe Botschaft“ verstehen: nicht jammern und nörgeln, auch einmal die Feste feiern, wie sie fallen – sofern es denn auch wieder unbeschwert möglich ist. So spannt sich der Bogen von der Siamesischen Wachtparade über die Verschmähte Liebe und Ja, wenn du denkst, ich lieb dich’ nicht hin zu Lasst den Kopf nicht hängen, Kinder, seid nicht dumm und Folies – Bergère, um schließlich, wie könnte es anders sein, wie selbstverständlich bei der Berliner Luft zu landen, auch wenn sie heute wohl nicht mehr so sauber ist wie noch zu Linckes Zeiten.
Kurzum, wer sich nicht zu schade ist, auch mal einen entgegenkommenden Schritt auf sein Publikum zu wagen, und sich dann auch nüchtern eingesteht, dass sich der Anteil sogenannter „Spezialisten“ unter den Zuhörern eher im Promillebereich bewegt, der wird für dieses Stück ganz bestimmt viel spontane und ehrliche Dankbarkeit ernten. Für versierte Organistinnen und Organisten dürfte Kropps Lincke-Potpourri nicht mehr als eine Vom-Blatt-Spiel-Übung sein. Da viele Passagen problemlos und einfach „aus den Fingern laufen“, ist der Übeaufwand für alle anderen sehr überschaubar.
Wolfgang Valerius