Werke von Massenet, Tschaikowsky, Duruflé, Debussy, Dupré und Ravel

Once upon a time … at the Walt Disney Concert Hall Organ

Jean-Baptiste Robin an der Orgel der Walt Disney Concert Hall

Verlag/Label: Brilliant 96134 (2020)
erschienen in: organ – Journal für die Orgel 2020/02 , Seite 57

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Once upon a time …, es war einmal … – mehr denn je muten diese Worte an, als seien sie einer anderen, für immer vergangenen, ja heilen Welt entsprungen. Aber sind Märchen wirklich nur liebliche Erzählungen mit Happy End aus vergangener Zeit? Sie sind doch eher „schrecklich schöne“ Geschichten, in denen das Gute zwar meist siegt, das Böse aber ebenso beheimatet ist.
Die vorliegende Einspielung von Jean-Baptiste Robin, Organist der königlichen Kapelle von Versailles, ist zunächst sicherlich als Reverenz an Walt Disneys Fantasia-Produktionen gedacht. Doch Robins Programmauswahl ist alles andere als eine musikalische Heile-Welt-Rückschau. Und so gibt es neben „bezaubernd Schönem“ auch echt harte Orgel-Kost.
Schon die einleitende Impro­vi­sa­tion über Tschaikowskys „Tanz der Zuckerfee“ ist gleichsam ein Statement des Organisten: Wer hier nur Illustratives, Gefällig-Beiläu­figes erwartet, der wird durch den unerwarteten Tutti-Cluster noch vor dem Abheben in die Zauberwelt ziemlich unsanft auf den Boden der Realität zurückgeschleudert. Und da bleibt der Hörer auch, etwa in Duruflès Suite op. 5. Im erdenschweren, Paul Dukas gewidmeten „Prélude“ besticht die grandiose Orgel durch ihre fulminate, förmlich in die Tiefe ziehende Grundtönigkeit. Die „Sici­lienne“ ist ein impressionistisch farbig dahinghauchter Ruhepol, ehe die „Toccata“ kraftvoll virtuos ihre Schwingen ausbreitet und gen Himmel zieht.
Seine Deuxième Esquisse op. 41 hat Dupré selbst als „sehr harte Musik“ beschrieben. Für Graham Steed (The Organ Works of Marcel Dupré) ist dieses Stück gar ein „teuflisches Tier“. Es ist sicherlich ein Virtuosenstück par excellence, für den unbedarft Hörenden kommt das Ganze aber mehr einem ungezügelten Wut- oder Zornesausbruch gleich – und wo ließe der sich besser austoben als auf einer klanggewaltigen Orgel!
Im Kontrast zu diesen Orgel-Originalen stehen dann Robins eigenhändige Bearbeitungen von Tschaikowskys „Tanz der Zuckerfee“, Massenets Les Mandores, Debussys Clair de lune sowie Ravels Balletmusik Ma Mère l’Oye (Mutter Gans). Hier ist die Märchenwelt dann auch wieder weitgehend in Ordnung, das Spielen bekommt gleichsam seine kindliche Note zurück, und vor dem geistigen Auge entfaltet Robin mit seinem stets überzeugenden Spiel und feinsinnigen Klanggespür heiter-fröhliche Comic-Sequenzen à la Disney, gestattet eine Retrospektive in (scheinbar) unbeschwerte Kindertage. Am Ende steht dann eine Reflexion in bester französischer Organistentradition über Raum und Zeit des Interpreten Jean-Baptiste Robin: The Hands of time ist eine Auftragskomposition der American Guild of Organists aus dem Jahr 2018.
Eine in mancher Hinsicht originelle CD, die vor allem durch ihre schroffen Kontraste für Spannung sorgt. Ob die Werkzusammenstellung letztlich im Sinne des Interpreten zur „Popularisierung“ der Orgel beiträgt, mag eher angezweifelt werden. Dennoch sehr empfehlenswert.

Wolfgang Valerius