Werke von Mons Leidvin Takle, Iain Farrington, Théodore Dubois, Christian Praestholm, Percy Fletcher, Anders S Börjesson, Hans-André Stamm, Eugène Gigout, Johannes Brahms, Pietro Alessandro Yon und Sverre Eftestøl
Northern Lights
Christopher Herrick an der Orgel des Nidaros-Doms in Trondheim (Norwegen)
Bewertung: 4 von 5 Pfeifen
Yes! Treffender lässt sich die jüngste Einspielung von Christopher Herrick an der Steinmeyer/Kuhn-Orgel des Nidarosdoms im norwegischen Trondheim wohl nicht beschreiben. In pandemischer Zeit entstanden, dazu in einer Region, die mit dem Dunkel endloser erscheinender Wintertage leben muss, ist diese Scheibe nicht nur ein musikalisch fulminanter Lichtblick, sie ist auch ein einziger Freundengesang eines singulären Organisten, der geradewegs die Achtzig ansteuert und scheinbar nichts von seiner bezwingenden Frische und Musizierfreude verloren hat.
Gute, technisch versierte Organisten gibt es heutzutage wohl viele. Aber was genau zeichnet einen guten Organisten aus? Reicht es da, zu jeder Zeit, an jedem Ort, auf
jedem Instrument ein mehr oder minder begrenztes Standardrepertoire abrufen/abspulen zu können? Oder erkennt man die wirklich guten Organisten, oder besser gesagt, einen wahren Musiker nicht eher an seiner besonderen Programmgestaltung? Letzteres ist sicherlich eines der herausstechendsten Merkmale Christopher Herricks. Seine Werkwahl lässt stets, wie auch bei dieser Einspielung, einen klaren regionalen Bezug erkennen, fängt intuitiv Stimmungen ein, die es eben so nur an diesem bestimmten Ort gibt. Und genau damit rückt er den in den Fokus, um den es letztlich bei allem künstlerischen Tun doch geht: den Rezipienten! Freilich bedarf es da eines gewissen Charismas, aber auch einer gesunden Portion „Unterstatement“, die außerhalb des United Kingdom nur wenigen gegeben ist.
Wer, wenn nicht Christopher Herrick, könnte ans Finale seiner Einspielung ein derart unprätentiöses, ja fast schon banales Stück wie Sverre Eftestøls (geb. 1952) Hochzeitsmarsch setzen, ein Stück, das nahezu obligatorisch bei allen Hochzeiten in Norwegen erklingt. Da ist nicht der akrobatische Virtuose gefordert, der sich und sein Instrument in letzter Aufopferung bis an die Grenze des Machbaren ausreizt. Vielmehr entlässt Herrick seine Hörer hier, wie er selbst sagt, mit einem „herrlichen Ohrwurm“. Kann man seinem Publikum mehr Reverenz erweisen?
Ein weiteres unverwechselbares Kennzeichen von Herrick ist sodann sein „Entdeckerdrang“. Wessen Partituren es aufs Notenpult des britischen Organisten schaffen, der wird schnell in der weltweiten „Orgel-Community“ zahllose „Followers“ finden, kommt die dem Komponisten zuteil werdende Ehre doch einem royalen Ritterschlag gleich. Mons Leidvin Takle (geb. 1942), sicherlich ein eigenwilliger Paradiesvogel der ansonsten recht grauen Zunft, eröffnet mit Yes! den Reigen hörerfreundlicher Pretiosen, gefolgt von Iain Farrington (geb. 1977), Christian Praestholm (geb. 1972), Anders S Börjesson (geb. 1975)
sowie Hans-André Stamm (geb. 1958). Ihre Musik besticht durch echte, ungekünstelte Spielfreude und verdient es, häufiger als Muntermacher auf die Programme konzertierender Organisten zu gelangen. Man mag den Hang zum Jazz in einigen der Stücke in wenigen Jahrzehnten vielleicht als „Ausrutscher“ betrachten, allen gemeinsam aber ist, dass hier das Instrument Orgel in einem durch und durch positiven, ja weithin hell strahlenden Licht erscheint. Und genau das ist die Botschaft, die das „Instrument des Jahres 2021“ nun mal braucht – nicht nur nördlich des Polarkreises!
Last but not least, und auch dies ist typisch Herrick: Was wäre das Ganze, wenn nicht wie nebenbei mehr oder minder seriöse Klassiker sich unters Programm mischten? Da hört man genüsslich dem Plätschern von Percy Fletchers Fountain reverie zu, lässt sich von Théodore Dubois’ Fiat lux in den grauen Herbst- und Wintertagen gerne „erhellen“. Und selbst ein Stück voller Ernsthaftigkeit und Strenge wie Brahms’ Präludium und Fuge g-Moll wirkt da nicht wie ein Fremdkörper.
Die Wächter der „wahren Kunst“ mögen Christopher Herrick stets einen Hang zu orgelmusikalischem Populismus vorwerfen. Am Ende aber wird er mehr für die Königin der Instrumente geleistet haben als die selbsternannten Nachlassverwalter des immateriellen Kulturerbes namens „Orgelmusik“.
Wolfgang Valerius