Guilmant, Alexandre

Noël au salon

Verlag/Label: Editions Hortus, Hortus 044 (2009)
erschienen in: organ 2009/04 , Seite 48

4 Pfeifen

Fast ein wenig herausfordernd glänzt auf dem CD-Cover der Registerzug Voix Céleste und weckt dadurch neugieriges Interesse beim Käufer, nicht ohne zugleich Individualität und besondere künstlerische Ambition dieser Produktion zu reklamieren. Und diesem erwartungsgemäß hohen Anspruch wird die vorliegende Einspielung des französischen Labels Hortus ganz überwiegend auch gerecht. Kurt Lueders, in der Orgelwelt längst kein Unbekannter mehr, wenn es insbesondere um die symphonische Orgelschule Frankreichs (seine musikwissenschaftliche Dissertation an der Pariser Sorbonne verfasste er über Alexandre Guilmant) sowie deren musikgeschichtliche Erforschung geht, hat hier eine erlesene Auswahl aus dem reichen Orgel- und Harmoniumwerk Guil­mants getroffen, die das Sujet der musikalischen häuslichen Weihnachtsfeier der französischen Bildungsbourgeoisie („Noël au salon“) zum beziehungs- und stimmungsreichen „dra­maturgischen“ Vorwurf nimmt.
Die meisten Stücke stammen aus der bekannten Sammlung Noël op. 60. Lueders präsentiert sich auf dieser CD als stilistisch sensibler und rundum souveräner Interpret. Sein Spiel ist feinsinnig und musikalisch durchdacht, dabei aber nie pastos-überladen. Technisch beherrscht er nicht allein die musikalische Partitur, sondern ebenso den Umgang mit dem Harmonium und dem durchaus anspruchsvollen Expressions-Spiel. Um das Harmonium in diesem phonophilen Instrumentalporträt nicht ausschließlich als Solo-Instrument vorzustellen, holt sich Lueders mit Françoise Masset und François Lambert (Pleyel-Flügel, 1905) zwei weitere erstklassige Musikerkollegen ins Boot. Erst durch deren Beteiligung am kammermusikalisch-beschaulichen „Hausmusik­geschehen“ findet sich der Hörer atmosphärisch vollends in einen eleganten Pariser Salon des Fin de siècle zurückversetzt.
Ein, wenn nicht gar das Highlight der CD schlechthin dürfte allerdings der Umstand bilden, dass Lueders hier an Guilmants eigenem Harmonium, hergestellt 1870 von der renommierten Firma Victor Mustel (Paris), musiziert. Im aufwändig-informativen Booklet erfährt der Hörer, dass das Instrument seit Guilmants Tod nicht mehr gespielt und nun für die Aufnahme in seinen wesentlichen Funktionen „reanimiert“ wurde. Das tröstet über einige kleine Verstimmungen und Nebengeräusche freilich hinweg. Ob es allerdings auch das teils doch recht hässliche – und behebbare – Quietschen der Bälge beim Noël brabançon zu entschuldigen vermag, soll der Hörer je für sich selbst entscheiden. Gleichwohl erlebt der Harmonium-Freund bei allen Werken die Farben und auch die Kraft
dieses eindrucksvollen Mustel-Harmoniums auf faszinierende Weise.
Fazit: eine gelungene CD, zum Repertoirestudium, zur Instrumentendokumentation, und um einfach elegant-süffige Salonmusik der Jahr­hundertwende zu genießen.

Andreas Hoffmann