Münchner Orgelbuch

Musik des 19. und 20. Jahrhunderts aus evangelischen Kirchen Münchens, hg. von Michael Grill

Verlag/Label: Musikverlag Elisabeth Thomi-Berg (TB 969), Planegg 2009
erschienen in: organ 2009/04 , Seite 56

Das erzkatholische München als eine vermeintliche Blütestätte evangelischer Kirchenmusik? Wer dies bezweifelt, wird spätestens beim Studium dieses Orgelbandes eines Besseren belehrt. Seit den (recht späten) Anfängen der evangelisch-lutherischen Konfession in der baye­rischen Kapitale 1799 entstand dort nicht zuletzt auch ein sehr reich­haltiges Repertoire an Orgelmusik, das in diesem Band in einigen Auszügen überblickshaft vorgestellt wird: Breit gefächert bezüglich Stilistik (von Abbé Vogler bis zu Gegenwartskomponisten) sowie Gattungen (Choralbearbeitungen ebenso wie freie Orgelstücke) belegen die publizierten Beiträge eine unerhörte organistische Vielfalt als „ein lebendiges Kennzeichen dafür, dass die Musik in den evangelischen Kirchen auch heute traditionsbewusst, gegenwartsbezogen und zukunftsfähig ist“.
Abgesehen vom dargebotenen Facettenreichtum mit Werken unterschiedlichen Schwierigkeitsgrades wird der Band darüber hinaus auf der Suche nach bislang unveröffent­lichten Werken zur Fundgrube: So werden etliche Orgelstücke vergangener Epochen seit ihrer Erstveröffentlichung erstmalig wieder veröffentlicht. Alle hier versammelten Werke des 20. und 21. Jahrhunderts sind Erstveröffentlichungen, wobei sich auch hier ein beachtlicher stilis­tischer Facettenreichtum offenbart: Von den Vier Metamorphosen über „All Morgen ist ganz frisch und neu“ von Gerd Kötter (*1950), einer struk­turgebenden Anleitung zur Im­provisation über „minimalistische“ Kompositionen von Graham Lack (*1954) bis zum Swing G. F. H. von Armin Becker (*1964; hinter dem Kürzel verbirgt sich Georg Fried­rich Händel, der zu diesem Werk die Themen beisteuerte).
Der Ausgabe sind neben Heraus­geber-Vorwort und kritischem Bericht samt Quellenverzeichnis auch Angaben zu den Komponisten (auch in Englisch) beigefügt. Die Edition zeichnet sich durch ein großzügig gestaltetes Notenbild aus, das auf Wendestellen allerdings keine Rück­sicht nimmt.
Der Herausgeber, der Münchener Kirchenmusikdirektor Michael Grill, erforschte in der Vergangenheit bereits die Geschichte der evangelischen Kirchenmusik seiner Heimat­stadt und dokumentierte sie 1999 erstmalig in seinem Buch 200 Jahre evangelische Kirchenmusik in München: 1799-1999. Neben der Veröffentlichung eigener Werke machte er als Herausgeber vielfach Musik Münchner Komponisten aus Geschichte und Gegenwart für die heutige kirchenmusikalische Praxis zugänglich. Grill verzichtet in seinem Münchener Orgelbuch, das sich ebenso an nebenamtliche SpielerInnen richtet, kategorisch auf „nützliche“ Hinweise wie Registrierungsempfehlungen, Manualverteilung, Angaben zum Orgeltyp etc. Vielleicht wäre ein entsprechender Hin­weis auf die historische wie zeitgenössische (evangelische) Orgel­situation Münchens in der Edition nahe liegend und nützlich gewesen.

Volker Ellenberger