Dorothea Hofmann

MENORA (2023)

Sieben Reflexionen für Orgel

Verlag/Label: Edition Dohr 17755
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2025/01 , Seite 59

Es ist immer als ein großes Verdienst zu erachten, wenn Musikverlage sich der Veröffentlichung zeitgenössischer Musik annehmen. So gibt es in der Edition Dohr aus Köln in der Reihe „Orgelmusik des 20. und 21. Jahrhunderts“ eine Vielzahl interessanter Kompositionen der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart.
Das 2024 dort erschienene viersätzige Orgelwerk In aeternum von Bernd Genz ist eine Art theologisch durchdrungene „Programmmusik“. Die „Fantasia für Orgel“ genannte Komposition basiert auf gregorianischen Gesängen und Kirchenliedmelodien. Die kompositorische Herangehensweise ist dabei durchgehend „klassisch“ mit häufig polyphoner Faktur.
Der 1. Satz fußt auf der titelgebenden gregorianischen Melodie „Misericordias domini in aeternum cantabo“, welche anfangs zitiert und dann kontrapunktisch weiterverarbeitet wird. Himmlische und irdische Sphären wechseln sich ab und münden in einen neu harmonisierten Choral von Michael Praetorius. Der 2. Satz „Eschatologia“ behandelt in fünf augenfälligen musika­lischen Bildern die Lehre von den letzten Dingen. Der 3. Satz beginnt mit dem Zitat des gregorianischen „Dies irae“; dieses wird von der Orgel mit einer wirbelnden ostinaten Figur der linken Hand unterlegt und mündet über weitere Cantus-firmus-Zitate in einen Choral von Arnold Mendelssohn. Im beschließenden 4. Satz „Freu dich sehr, o meine Seele“ mit einem Rückgriff auf die himmlische Sphäre des 1. Satzes wird die Komposition mit der triumphal ausharmonisierten Weise von Loys Bourgeois beschlossen und so der Sieg des ewigen Lebens über den Tod symbolisiert. – Die vier Sätze des fast halbstündigen Werks können auch einzeln aufgeführt werden. Allerdings empfiehlt es sich, wegen der stark theologisch-programmatischen Anlage dazu eine Erläuterung in mündlicher oder schriftlicher Form zu geben.
Das Choralbüchlein von Lothar Graap bringt einen Querschnitt wichtiger Gesangbuchlieder durch das ganze Kirchenjahr hindurch vom Advent bis zum Ewigkeitssonntag. Die klangschönen, stellenweise mild dissonanten Stücke lassen sich relativ schnell lernen. Die vielen Ideen bei der Bearbeitung der Cantus firmi wie zum Beispiel beim mit kleinen Pedalsoli durchwirkten „Heut triumphieret Gottes Sohn“ sind auch eine Fundgrube für choralgebundene liturgische Improvisation. Zwar spricht der Autor im kurzen Vorwort davon, dass die Choralvorspiele nicht direkt zu den entsprechenden Liedern, sondern eher als Meditationsmusiken vor und nach der Predigt oder als Postludium gedacht sind. Wegen der relativen Kürze von höchstens zwei Druckseiten und der durch die motivisch durchwirkte Anlage stets gut erkennbaren Melodien könnte man die Stücke trotzdem gut als Liedvorspiele nutzen.
Die Choralpartita Du meine Seele, singe für zwei Tasteninstrumente, ebenfalls von Graap, verfolgt einen stark pädagogischen Ansatz. Laut dem Autor ist das Werk unter anderem für den Unterricht an Musikschulen gedacht, um besonders das Zusammenspiel zu fördern. An­stelle zweier Orgeln (Pedal nicht obligat) können auch andere geeignete Tasteninstrumente verwendet werden. Da die Anlage des Werks die beiden Parts nicht sonderlich verzahnt, sondern trotz gelegent­licher Überlappung eher in Dialogform auftreten lässt, wäre eine Aufführung auch über eine größere Dis­tanz hinweg sicher möglich, wa­rum also nicht auch mit großer Orgel und Orgelpositiv …
Wiederum einen programmatischen Inhalt hat MENORA von Dorothea Hofmann. Beim siebenarmigen Leuchter des Alten Testaments, dessen einzelne Lichter verschiedene Deutungsmöglichkeiten zulassen, von der Ausbreitung des göttlichen Lichts über die sieben Tage währende Schöpfung bis hin zu den sieben Planeten unseres Sonnensystems etc., hat die Komponis­tin sich in Anlehnung an die Mys­tik der Kabbala für die Interpretation der Begriffe Liebe, Stärke, Licht, Ewigkeit, Majestät, Fundament und Königreich entschieden. – Kalei­dos­kopartige, feingliedrige Motivik durchzieht das gut zwanzigminü­tige Werk wie ein roter Faden, dazu ist es harmonisch stets sehr farbig angelegt. Die technisch nicht leichte, aber effektvolle Komposition bedarf einer sehr akkuraten Ausführung. Es gibt kaum konkrete Registrieranweisungen, deshalb müssen die beigefügten Anmerkungen (z. B. „wie funkelnde Lichtblitze“) nach den Möglichkeiten des Instruments klanglich gut umgesetzt werden, um die erforderliche Wirkung erreichen zu können. Durch die Beschaffenheit der sich wiederholenden motivischen Elemente erschließen sich kleine Druckfehler wie das eine Note zu früh stehende b in Takt 6 des VII. Satzes des ansonsten bei allen Ausgaben sauberen und gut lesbaren Notensatzes von selbst.
Die von derselben Komponistin stammenden Vier Toccaten „Was mein Gott will, gescheh allzeit …“, Toccata per speranza, Toccata quasi Fantasia sopra „Christ ist erstanden“ und „Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist“ – Toccata festeggiante sind Stücke von noch höherem künstlerischen und spieltechnischen Anspruch und verlangen hohe Professionalität der Ausführung. Die mit etwa zwischen sieben und zehn Minuten recht groß angelegten Werke sind jenen versierten Organistinnen und Organisten gewidmet, welche die Toccaten uraufgeführt haben. Auch hier lassen sich neben Bezügen zu den Liedtexten programmatische Themen erkennen wie etwa bei der Toccata per speranza, welche die Ereignisse während der Olympischen Spiele 1972 in München evoziert und in der Aussage gipfelt „… Solange es Leben gibt, gibt es Hoffnung“ – heute aktueller denn je.
Die Partita von der dunklen Wolk’ von Christoph Weinhart erscheint auf den ersten Blick recht schlicht, zusätzlich unterstützt durch das Vorwort, in welchem der Komponist schreibt, das Werk böte keine technischen Schwierigkeiten. Nichts­destotrotz können die einzelnen Variationen bei entsprechend sensib­ler Ausführung von großer Wirkung sein. Der Schluss der letzten (sechs­ten, nicht fünf, wie im Vorwort seltsamerweise beschrieben) Variation schlägt durch das Zitat des anfänglichen Quintenmotivs einen Bogen zurück zum Beginn.Für alle Organistinnen und Organisten, die sich noch nicht mit neuen Satztechniken beschäftigt haben, wäre diese kleine Partita sicher ein lohnender Einstieg in diese Thematik.

Christian von Blohn