Gerard Bunk

Legende (1914)

für Orgel und Bläserquartett op. 55a, hg. von Jan Boecker und Christof Schmidt

Verlag/Label: Bärenreiter, BA11259
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2022/04 , Seite 58

Das Werk des deutsch-niederländischen Organisten Gerard Bunk (1888–1958) rückt seit einigen Jahren wieder stärker ins Blickfeld. Das ist nicht verwunderlich, war Bunk doch seit 1925 Organist an der berühmten Walcker-Orgel der Reinoldi-Kirche in Dortmund, mit 5 Manualen und 105 Registern eine der bedeutendsten Orgeln der elsässisch-deutschen Orgelreform. Hier entfaltete Bunk in seinen Orgel-Feierstunden eine große Ausstrahlung, fand kompositorisch einen eigenen, von Max Reger unabhängigen Stil und orientierte sich in seiner eher schlichteren Grundhaltung an der deutschen und französischen Romantik (Mendelssohn, Franck).
Albert Schweitzer lobte Bunks Legende op. 29: „Besonders gefällt mir die ruhige und plastische Anlage des Ganzen. Das wirkt so wohlthuend im Vergleich zu der Formlosigkeit und Unruhe, die jetzt für Orgelcompositionen im Gebrauch ist.“ Bunk gehörte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu den bedeutenden Organisten der evang. Kirchenmusik. Beim Reger-Fest 1910 in Dortmund war er für Straube eingesprungen und spielte das Konzert im Wechsel mit Max Reger, der ihm daraufhin anbot, bei Straube und ihm zu studieren, worauf Bunk jedoch nicht einging. Reger empfahl ihn dennoch als Lehrer für das Dortmunder Konservatorium und legte damit den Grundstein für Bunks Wirken in Dortmund.
Dieser Hintergrund ist wichtig für das Verständnis der Legende op. 55a für Orgel und Bläser. Zum einen, weil das Werk Bunks eigenständigen, von Reger unabhängigen Weg verdeutlicht. Das ruhig fließende Werk in f-Moll (Moderato) basiert auf einem ausdrucksvollen Choralthema, das in seiner schlichten linearen Stimmführung ein gutes Beispiel für die Ideale der Orgelbewegung ist. Der Choral wechselt zwischen Orgel und Bläsern hin und her, sodass sich ein dialogisierendes Zusammenspiel ergibt, das ein wenig an Camille Saint-Saëns’ Orgelsinfonie erinnert. Versöhnlich der Schluss in F-Dur. – Zum anderen ist es wichtig, sich den historischen Hintergrund zu vergegenwärtigen, der im sehr informativen Vorwort der Herausgeber beschrieben wird: Bunk hat die Legende in den Weihnachtsferien 1914 komponiert, dem ersten Weihnachtsfest des Ersten Weltkriegs, an dem der Wunsch nach „Frieden auf Erden“ von den Menschen wohl besonders intensiv empfunden wurde. In diesem Kontext entstand ein Werk, das mit seinem ernsten, meditativen, tröstenden Ausdruck auch das heutige Konzertpublikum erreichen dürfte.
Das zwölfminütige Stück eignet sich für besinnliche Konzerte, etwa in der Passionszeit, an Totensonntag oder Buß- und Bettag. Das Bläserensemble ist mit zwei Flügelhörnern, Waldhorn und Posaune vom Klangideal der Posaunenbewegung beeinflusst. Bunk selbst hat an Konzerten mit Posaunenchören als Organist mitgewirkt und das Werk zusammen mit dem Duwe-Quartett in Bielefeld uraufgeführt. Die sorgfältig edierte Notenausgabe bietet auch alternative Bläserstimmen an, sodass die 1. und 2. Stimme (in B und C) mit Flügelhorn oder Trompeten gespielt werden kann, die 3. Stimme (C und F) mit Horn, Posaune oder Euphonium, die 4. Stimme (B und C) mit Posaune, Bassposaune, Bariton oder Tuba.

Rainer Mohrs