Oskar Merikanto

Kootut urkuteokset

Collected works for organ, hg. von Jan Lehtola (100 Seiten)

Verlag/Label: Verlag Fennica Gehrmann (Helsinki)
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2018/04 , Seite 59

Die finnische Orgelwelt ist klein. Umso bemerkenswerter sind indes die Protagonisten der hier vorliegenden Werke. Der Orgelvirtuose Oskar Merikanto (1868–1924) gilt als Begründer der neueren finnischen Orgelschule. Seine Kompositionen verhalfen dem Instrument Orgel zu einer eigenständigen Position innerhalb der finnischen Mu­sikkultur. Sie bilden einen Meilenstein innerhalb der finnischen Orgelmusik, die sich bis dato wenig originell aufstellte. Beigefügt sind Handschriften des Autors, die eine Nähe zur ursprünglichen Schreibweise schaffen. Die annähernd hundert Seiten Notentext und Anmerkungen enthalten kirchenmusikalisch geprägte und freie Werke. Die große Konzertfantasie am Anfang, dann Fantasie und Choral, Wedding Hymn, Passacaglia, drei Postludien und ein Prayer werden durch einen umfangreichen kritischen Anhang ergänzt. Alle Spielarten des traditionellen Orgelgenres werden hier fantasievoll bedient. Der bekannte finnische Organist Jan Lehtola hat diese Orgelwerke nun im Gesamten herausgegeben und damit einen wichtigen Beitrag zur Rezeption geleistet.

Der 1962 geborene Komponist Jyrki Linjama ist mit zwei Einzelausgaben vertreten. Seine Sonata da Chiesa II (2014) als Kirchensonate bedient sich deutscher Titel. So ist das flimmernde, im Ostinato komponierte „Herzstück“ als erster Satz eine virtuose Klangorchestrierung. „Paradisi gloriae“ beruhigt mit leeren Quinten und eingesprengten Klangfragmenten. Rätselhafte Klangzusammenstellungen und übermäßige Tonleitern bleiben indifferent. Der Schlusschoral wirkt mit seinen hinzugefügten Pedaloktaven wehmütig und strahlend zugleich. Auch das kurze Veni redemptor gentium ist abschnittweise (mit „exis­tenziellen“ Ti­teln) unterteilt. „Schatten und Licht“ beginnt wieder ganz als Aufbau mys­tischer Klangflächen. „Ostinato“ kultiviert die Bewegung, und gegen Ende erscheinen „Trio“ und „Passacaglia“. Die sehr modernen, freien Tonkombinationen werden mit traditionellen Formen, Satzweisen und Rhythmen kunstvoll verbunden.

Der Onkel des Komponisten, der 1934 geborene Jouko Linjama, hat sich als Herausgeber betätigt und die Orgelstimme von Joonas Kokkonens Requiem arrangiert. Die Orgel ersetzt das Orchester und ermöglicht so eine Aufführung mit Solis­ten und Chor. Kokkonen (1921–96) schrieb sein bekanntes Requiem bereits in den 1970er Jahren und gelangte in der Musik zu einem eigenständigen, freien Stil, nachdem er sich in Schaffensperioden zuvor mit Neoklassizismus und Zwölftontechnik auseinandergesetzt hatte. Die Orgelstimme, die hier mehr einem virtuosen Klavierauszug gleicht, enthält Angaben zu den jeweils ursprünglichen Orchesterinstrumenten und lässt sich deshalb lesend gut nachvollziehen. „Requiem aeternam“ beginnt als ruhige Ouvertüre. Frappierend sind die im Verlauf auftretenden, mehrstimmigen Wechseltriller. Das „Kyrie eleison“ ist als Allegro komponiert und bewegt sich stürmisch nach vorne. Der „Tractus“ beginnt mit engen Intervallen und baut die Orgelstimme dann doch zu einem vollgriffigen Orchestersatz aus, ähnlich wie die nächsten Sätze „Domine Jesu Christe“, „Hostias et preces“, „Sanctus“ und „Agnus Dei“. Das kurze „In Paradisum“ hält den Chor in choralartigem Satz beisammen. Das abschließende „Lux aeterna“ besteht aus einem durchbrochenen Satz. Insgesamt hat man den Eindruck, dass die Orgelstimme als Orchesterersatz die Musik überstrapaziert, da sie ständig in extrem gesetzter Vielstimmigkeit agiert. Durch diese Klavierauszug-Technik sind zwar alle im Orchester verwendeten Noten vorhanden. Dadurch wird die Orgel aber in einen übermäßigen Aktionismus versetzt, der dem Instrument nicht dienlich ist.

Der 1948 geborene Mikko Heiniö schrieb sein Concerto for Organ and Orchestra (2012/13) als freie Form. Dennoch ist ein Kirchenraum von der Aufstellung des Orchesters her mitgedacht. Die Orgel steht klassisch auf der Westempore. Vorne sind Holzbläser, Pauken und Streicher, während die Blechbläser auf seitlichen Balkonen platziert werden. So ist es als Aufstellung einer „traditionellen Kirche“ in der Partitur notiert. Das Concerto gliedert sich in zwei Sätze mit einer Gesamtspieldauer von ca. 25 Minuten: „I. Preludio, cantilena e toccata“ sowie „II. Saltarello, corale e postludio“. Die Orgel gestaltet zumeist Klangflächen, die aus Bewegungen einzelner Motive bestehen. Diese werden wiederholt oder verschoben. Ein Flimmern als Ganzes zieht sich über einzelne Blechbläser, Holzbläser und Streicher. Die Harmonik ist überwiegend bitonal. Dabei werden verschiedene Dur- und Moll-Akkorde miteinander kombiniert.

Sicher hat die hier vorliegende finnische Orgelmusik keinen kritischen Reflexionsprozess durchlaufen, wie er nach dem Zweiten Weltkrieg in Europas Mitte stattfand. Ähnlich wie auch die nordische Chormusik entstehen diese Werke aus der Freude an der kompositorischen Variante, die quasi nordisch kühl „eingefärbt“ wird. Erstaunlich ist die verlangte hohe Virtuosität, die ihren Ursprung sicher im Schaffen von Oskar Merikanto findet, der als Protagonist finnischer Orgelmusik frühzeitig für deren Aufblühen sorgte. Während die Originalwerke durch und durch eine eigene, sehr orches­trale Note enthalten, zeigt sich einmal mehr, dass die Orgel als Or­ches­terersatz nicht im Klavierauszug-Stil überzeugt. Insgesamt bieten die vorliegenden Werke jedoch einen interessanten Einblick ins finnische Orgelschaffen von der Spätromantik bis heute.

Dominik Susteck