Iveta Apkalna – Light & Dark

Werke von Dmitri Schostakowitsch, Aivars Kalejs, Thierry Escaich, Sofia Gubaidulina, Leoš Janácek, György Ligeti und Lucija Garuta. Iveta Apkalna an der Klais-Orgel im Großen Saal der Elbphilharmonie Hamburg

Verlag/Label: Berlin Classics 0301074 (2018)
erschienen in: organ – Journal für die Orgel 2019/01 , Seite 61

4 von 5 Pfeifen

Was erwartet man von einer Debüt-CD auf einer neuen Konzertorgel in einem neuen philharmonischen Saal der Superlative? Nun vermutlich Toccata, Toccata, Toccata …! Von Bach, Widor, Gigout, allenfalls Guillou. Damit es daheim an den Boxen ganz ordentlich „rumpelt“! Dazwischen etwas Adagio oder auch hübsche Flötengirlanden … So etwas kommt meist gut an und wird gern gekauft! Iveta Apkalna hat mit diesen Klischees nichts am Hut. Die „Titularorganistin“ der Hamburger Elbphilharmonie lässt die neue Klais-Orgel dort ganz andere Töne pfeifen: von Gubaidulina und Escaich, von Janáček und Schos­ta­kowitsch. Stolze elf Minuten inves­tiert sie sogar in György Ligeti: Chapeau – das ist kühn! Und ein echter Gewinn. Denn was man hört, bewegt sich wohltuend jenseits des Konventionellen.
Mit ihrer persönlichen Handschrift formuliert Apkalna hier hoch über dem Hamburger Elbwasser ein orgelmusikalisches Credo. Ein Bekenntnis, das auf einer CD nicht irgendein Nischendasein im Kreise von „Spezialisten“ fristen wird. Hier wird zum ersten Mal die Klais-Orgel (IV+P/69) des neuen Konzertsaals auf Tonträger erfahrbar. Die Neugier dürfte deshalb entsprechend groß sein. Und dann ausgerechnet ein solches Programm? Fast eine Zumutung. Aber Apkalna macht Mut zuzuhören. Dies bei Schostakowitschs dramatischer Passacaglia aus der Oper Lady Macbeth von Mzensk, bei den hochemotionalen Évocations I–III von Thierry Escaich, beim berühmten Postludium für Orgel aus Janáčeks Glagolitischer Messe mit seinem unwiderstehlichen Vorwärtsdrang. Licht und Dunkel von Sofia Gubaidulina haben offensichtlich Pate gestanden für die von den Farben Schwarz und Weiß geprägte grafische Gestaltung der CD samt Booklet. Klanglich indes geht es schillernd zu, insbesondere in Ligetis Zwei Etüden, die auch fünfzig Jahre nach ihrer Entstehung nicht an Suggestionskraft verloren haben. Einen Brückenschlag in ihre lettische Heimat unternimmt Apkalna mit dem Gebet von Aivars Kalējs (*1951) und der Meditation von Lūcija Garūta (1902–77). Beide spielen bzw. spielten in Lettlands Musikleben eine große Rolle, beider Tonsprache orientiert sich an spätromantischer Harmonik, beider Werke ergänzen Apkalnas Orgel-Porträt ganz ausgezeichnet.
Und die Klais-Orgel? Sie erweist sich als ein veritables Orchester – eines, das in der Spitzenliga musiziert und über etliche herausragende Solisten unter seinen Mitgliedern (Registern) verfügt: Solo-Trompete, Solo-Klarinette, Solo-Flöte(n) und so weiter … Das Instrument klingt rund, satt, raumgreifend, nirgends brutal oder gar hölzern-klirrend. Mit Iveta Apkalnas ungewöhnlichem Programm jenseits des Mainstreams macht es von Anfang bis Ende eine absolut gute Figur – die stets besonnen interpretierende Solistin ohnehin!

Christoph Schulte im Walde