Max Reinhard Jaehn
Friese. Norddeutsche Orgeln in fünf Generationen
4 Teilbände
Unermesslich ist das Lebenswerk, das der Arzt Max Reinhard Jaehn „nebenbei“ erarbeitete: eine umfassende Dokumentation der Orgelbauer Friese, die zwischen dem späten 18. Jahrhundert und dem Beginn des 20. Jahrhunderts hauptsächlich in Mecklenburg tätig waren. Das Ergebnis von Jaehns jahrzehtelanger akribischer Forschung liegt nun in vier überaus stattlichen Bänden zuzüglich einer reichhaltig bestückten DVD vor.
Um die schier unendliche Materialfülle überhaupt bewältigen zu können, widmete Jaehn dem bekanntesten und wohl auch wichtigsten Vertreter der Dynastie, Friedrich (III) Friese (1827–96), den Teil I. Dieser wiederum besteht aus einem Textband und einer DVD, die den Werkkatalog ausschließlich dieses Orgelbauers mit seinem umfangreichen Datenbestand (Akten, Detailfotos und Kommentare) im Volumen von mehr als 1200 Druckseiten enthält.
Weitere 875 „real“ gedruckte Seiten (!) befassen sich mit den übrigen Orgelbauern der Familie Friese, wobei hier zwei Katalogteile dem Textband beigegeben sind. Diese Einteilung muss man erst einmal durchschauen, so wie insgesamt die Handhabung des ungemein detailreichen Kompendiums vor allem für Nicht-Landeskundige eine gewisse Einarbeitung verlangt. Befasst man sich jedoch näher mit der Wirkungsgeschichte der für den Nordosten Deutschlands wichtigen Orgelbauer- und Musikerfamilie, so wird die Logik dieses Vorgehens klar: An vielen der genannten Orte arbeiteten mehrere Familienmitglieder; eine rein chronologische Darstellung würde zu Überschneidungen und womöglich zur Verwirrung führen.
Schließlich war Friedrich (III) Friese kein beliebiger Handwerker, der die Dorfkirchen versorgte; seine Lehre bei Carl August Buchholz ergänzte er durch zwei Aufenthalte in Paris bei Aristide Cavaillé-Coll. Dies brachte ihm neben handwerklicher Praxis und künstlerischem Weitblick hohe Reputation ein, so dass er in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in seiner erfolgreichen Schweriner Werkstatt einige Dutzend solider Instrumente fertigen konnte, von denen etliche bis heute erhalten sind.
Jaehns Textgestaltung reicht in den biografischen Kapiteln bisweilen an die Weitschweifigkeit eines Theodor Fontane heran, dies jedoch mit durchaus literarischem Gehalt. Man begleitet die Frieses förmlich in ihrem Alltag, wozu auch die Wiedergabe des Arbeitskalenders beiträgt. Belohnt werden geduldige Leser mit vielfältigen kulturgeschichtlichen Aspekten auch jenseits des Orgelbaus, etwa dem, dass Mecklenburg aufgrund der Auswanderungswellen besonders stark ausblutete und die industrielle Entwicklung sich dort nur langsam vollzog.
So ausgiebig und vorzüglich recherchiert die teilweise sehr umfangreichen Katalogeinträge sind, es wäre hilfreich gewesen, zumindest einige Stichpunkte zur aktuellen Situation (Grad des Erhaltungszustands, letzte Restaurierung etc.) zusammenzufassen. Dennoch verdient die großzügige Ausstattung allerhöchste Anerkennung, ebenso der Mut des Verlags, ein so umfangreiches Werk zur Landeskunde in sein Programm aufzunehmen. Dieser Mammut-Publikation ist zu wünschen, dass sie eine ebensolche Wertschätzung erfährt wie die Orgeln der Frieses.
Markus Zimmermann