Franz Lehrndorfer – Live. Vol. 9: München 1966

Max Reger: Phantasie und Fuge über B-A-C-H op. 46 / Symphonische Phantasie und Fuge op. 57 / Phantasie über den Choral „Wie schön leucht’t uns der Morgenstern“ op. 40/1

Verlag/Label: FL-CD 09 (2017)
erschienen in: organ 2018/02 , Seite 60

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Das große Reger-Jubiläum 2016 bescherte der Orgelwelt etliche neue (Gesamt-)Einspielungen an romantischen sowie zeitgenössischen Instrumenten und damit wesentliche Erkenntnisse über die wohl erforderlichen Klangressourcen zur adäquaten Darstellung von Max Regers bisweilen sperrig erscheinenden, jedoch immer großartigen Orgelwerken. Hatte man in den zurückliegenden Jahrzehnten eher auf (teils sogar neobarocke) Durchsichtigkeit und zügige Tempi gesetzt, so drehte sich das Rad jetzt wieder (wohltuend) zurück.
Die unter diesen neuen Gesichtspunkten vertiefte Beschäftigung mit Regers Orgelschaffen scheint derzeit auch ein breiteres Interesse an Aufnahmen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und deren InterpretInnen zu evozieren, die sich diesem Komponisten besonders verbunden fühlten. Im damaligen Westdeutschland waren dies vor allem der Hamburger Jacobi-Organist und Hochschulprofessor Heinz Wunderlich (der die „Leipziger Tradition“ durch Karl Straube verinnerlichen konnte) sowie der Münchner Domorganist und langjährige Hochschulprofessor Franz Lehrndorfer (1928–
2013), der sich seinerseits auf eine sehr sensible und durchaus virtuose Reger-Exegese verstand.
Lehrndorfer hatte seinem Repertoire schon früh die großen Werke des Meisters eingegliedert und verstand es, seine unscholastische Sicht auf diese seinen zahlreichen Schülern zu vermitteln. Diesbezüglich darf man denn auch getrost in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von einer entsprechenden „Münchener Schule“ sprechen! Anlässlich des 50. Todesjahrs von Max Reger führte Lehrndorfer im April 1966 im Abstand von nur wenigen Tagen in zwei Konzerten an der Steinmeyer-Orgel des Großen Saals der Münchener Musikhochschule drei der bedeutendsten Werke des Oberpfälzers auf: Phantasie und Fuge über B-A-C-H op. 46, die Symphonische Phantasie und Fuge op. 57 und die Phantasie über „Wie schön leucht’t uns der Morgenstern“ op. 40/1.
Die Mitschnitte dieser Konzerte liegen nun in einer fortlaufend erweiterten CD-Edition mit bis dahin unveröffentlichten Konzertaufnahmen Lehrndorfers vor. Die gewichtigen Opera werden mit großer Gelassenheit und – sowohl musikalisch als auch technisch – fesselnder Brillanz durchmessen. Besonders überzeugend gerät Lehrndorfer die Symphonische Phantasie und deren exorbitant anstrengende (Doppel-)Fuge. Die Stringenz seines Spiels lässt keinerlei – empfundende – „Längen“ zu, die klangliche Übersetzung der Musik auf die eher neobarock disponierte Steinmeyer-Orgel von 1959 gelingt vorzüglich und absolut überzeugend. Lehrndorfer versteht es, gebieterische Höhepunkte im bes­ten Sinne zu zelebrieren, traumverlorene Episoden mit wunderbar na­türlicher Gestaltung ins rechte Licht zu rücken.
Die von Ulrich Kraus behutsam restaurierte Aufnahme klingt trotz ihres Alters sehr räumlich und plas­­tisch. Diese CD ist nicht nur ein erstaunlich „modern“ wirkendes „his­torisches“ Zeitdokument, sondern zugleich eine der schönsten und wichtigsten Veröffentlichungen der letzten Jahre in Sachen Reger!

Christian Brembeck