Harald Feller

Drei Gregorianische Paraphrasen

für Orgel

Verlag/Label: Edition Walhall, EW1108
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2021/01 , Seite 59

Auf dem Anfang der marianischen Antiphon „Salve Regina“ basiert der „bewegt“ überschriebene erste Satz der Drei Gregorianischen Paraphrasen des 1951 geborenen Komponis­ten Harald Feller. Er formt aus dem Melodieabschnitt „Salve Regina“, auch durch apartes Auszieren der Kerntöne, eine fließende triolische Sechzehntelspielfigur. Diese filigrane Arabeske, deren konstituierendes Intervall die Quarte ist und die offensichtlich aus impressio­nisti­scher Quartenharmonik gebildet ist, durchzieht das ganze Stück als Perpetuum mobile. Entsprechend der energetischen Melodik, bei der die Schwerpunktwirkungen zurück­treten, wird auf die Angabe der jeweiligen Taktart verzichtet, größten­teils 5/8-, gelegentlich 6/8- und 9/8-Takte.
Insbesondere harmonisch zeichnet sich die dreiteilige Gesamtan­lage (A-B-A) deutlich ab. Mantra­artige Wiederholungen der schnellen Spielfigur generieren eine zeitlos wirkende, pulsierende Klangfläche, die im „Mixturplenum“ zu spielen ist. Diesen Klangraum überlagern im Manual sowie im Pedal – „Oktave 8’ (4’), Trompete 8’“ – Variationen des Motivs von „Salve“. Im Mittelteil wird die Satzfaktur beibehalten, jedoch wird das zentrale Klangfeld verlassen und nach und nach um harmonische Farben bereichert; Mediantik verstärkt die Intensität. Darauffolgend kehrt der erste Teil reprisenartig, piu forte gespielt, wieder. Ein lang gehaltener, um große Sext und Non erweiterter d-Moll-Akkord beschließt das Stück.
Die Intonation des Chorals „Puer natus est“, mit dem weiträumigen Pes g–d1 von „Puer“, liegt dem zweiten Satz zugrunde. Manualiter und mit leisen 8’-Grundstimmen (Bourdon und Flöten) registriert, entspinnt sich ein in modaler Harmonik zumeist drei- und vierstimmig gesetztes Klanggeflecht. „Wenn ein Glo­ckenspiel vorhanden ist“, könnte es hinzugezogen werden. Achtel und Achteltriolen werden oftmals polyrhythmisch kombiniert. Häufige Wechsel von geraden und ungeraden Takten verstärken den schwebenden Eindruck.
Ein furioser „Totentanz“ ist die Paraphrase über die Anfangstöne des „Dies irae“ im dritten Satz. Durch Akzentverlegungen über den unablässig pulsierenden Staccato-Sechzehnteln verdichtet sich der rhythmische Ablauf. Flirrende Zweiunddreißigstel-Figuren und kurzatmige Pausen steigern die Dramaturgie ebenso wie rasche, aus der gregorianischen Melodie entwickelte Motive sowie toccatische Akkordfolgen übermäßiger Dreiklänge. Es entsteht ein einheitlicher Bewegungszug von rhapsodischer Gestik.
Dynamisch bewegt sich das alles hauptsächlich im Fortissimo – das abschließende Akkordtremolo und Glissando vom Bass in den Diskant wächst noch zum Fortefortissimo („Tutti“) an. Harald Feller rechnet für seine Paraphrasen mit einer dreimanualigen symphonischen Orgel (G.O., Pos., Rec.), Tonumfang im Manual von C–g3 und im Pedal C–f1.

Jürgen Geiger