Ferneyhough, Brian / Morton Feldman / Giacinto Scelsi / Iannis Xenakis

Die Orgelwerke

Verlag/Label: edition zeitklang, ez-35033 (2008)
erschienen in: organ 2009/04 , Seite 53

5 Pfeifen – Referenz-Einspielung

Die neueren Orgelwerke, die Bernhard Haas hier auf CD versammelt, sind alle innerhalb eines Jahrzehnts entstanden. Sie eröffnen nicht, wie etwa bei Mauricio Kagel oder Gy­örgy Ligeti, durch radikale Neu­e­rungen des Orgelklangs und avant­gardistische Techniken des Orgelspiels neue Klangräume. Vielmehr füllen und erweiterten sie konventionelle musikalische Klang­räume um unerhörte Tondimensionen und neue akustische Generierungstechniken mit Hilfe der Pfei­fen­orgel. Häufig wechselnde Metrik, rhapsodisch wirkende improvisatorisch ge­staltete Abschnitte prägen das musi­kalische Geschehen. Nicht die klassische thematisch-motivische Arbeit oder Klangfarbenkompositionen im herkömmlichen und vertrauten Sin­ne bilden in diesen Stü­cken die orientierende Grundsubstanz, sondern Zeitdauern und eine oft ausgetüftelte Dynamik innerhalb komplex ausgearbeiteter Struk­turen. Ferner kommt dem pointil­lis­tisch gesetzten Einzelton, weniger dem akkordischen Geschehen, werkkonstituierende Bedeutung zu. Beim Anhören der hier eingespielten Orgelstücke wird zunehmend deutlicher, wie frappant sie sich konstruktiv und in ihrer klanglichen Aussage einander doch annähern. Es ist nicht zuletzt der überaus meis­terlichen Interpretationskunst von Bernhard Haas geschuldet, dass er mit differenziertem Sinn für Klangvaleurs und höchster technischer Meisterschaft jede einzelne der hier eingespielten Komposition zum Leben er­weckt und ihnen einen unverwech­selbaren Eigencharakter verleiht.
Hilfreiche Werkinformation aus der Feder des Interpreten bietet das in deutscher und englischer Sprache abgefasste Booklet. So erfährt der Hörer/Leser, dass die aus dem Jahr 1970 stammende Suite Sieben Sterne von Brian Ferneyhough unter dem Eindruck eines Holzschnitts von Dürer (1498) entstand, auf welchem der apokalyptische Christus sieben Sterne in seiner Rechten hält. Haas – und seine teils mitspielende Assistentin Gisèle Kremer – gestalten daraus kein Schreckensszenario, sondern ein teils glitzerndes, teils ruhig meditierendes Orgel­stück. Beim Principal Sound (1980) von Morton Feldman realisiert Haas gleichzeitig beide Deutungen des Titels: „Das Stück entfaltet sich aus einem einzigen [Haupt- = Principal-] Klang oder aber Principal Sound ist auf das gleichnamige Prinzipalregister bezogen.“
Haas hatte das rare Glück, vom Komponisten Giacinto Scelsi bei einem Besuch in Rom in Bezug auf dessen Werk In nomine Lucis (1974) einschlägige Hinweise zur Wiedergabe des Stücks zu erhalten. Ent­spre­chend authentisch ist bei allen erlaubten Freiheiten der Interpretation diese Einspielung zu werten. Gmeeoorh (1974) – ein nicht buchstabengetreues Anagramm des Wor­tes organon – von Iannis Xenakis stellt für Haas, wie alle anderen Werke, trotz eminenter technischer Schwierigkeiten der Partitur keine interpretatorischen Probleme dar.
Diese außerordentlich fesselnd und grandios dargebotenen Klassiker der modernen Orgelmusik sind durchgehend als Referenzeinspielung zu werten. Gäbe es auf dem mit trivialen Sinnlosigkeiten überschwemmten Orgeltonträgermarkt doch nur mehr solcher fonografischer Schwer­gewichte, wie sie Bernhard Haas mit der hier vorgestellten Referenz­Einspielung zweifellos vorgelegt hat!

Christian Ekowski