Günter Seggermann / Alexander Steinhilber / Hans-Jürgen Wulf

Die Orgeln in Hamburg

Verlag/Label: Ludwig, Kiel 2019, 278 Seiten, 325 Farbb., 44,90 Euro
erschienen in: organ – Journal für die Orgel 2019/03 , Seite 53

Hamburg hat eine lange und vielfältige Orgeltradition. Im Gegensatz zu anderen Metropolen gab es hier mit allein fünf Hauptkirchen mehrere Entwicklungszentren. Überdies ist das heutige Stadtgebiet sehr unterschiedlich geprägt – vom urbanen, einst selbstständigen Altona bis hin zum idyllischen Neuenfelde im Alten Land mit seiner Arp-Schnitger-Orgel. Von diesem oder den Werken der Familien Scherer und Frietzsch ist quantitativ nicht viel erhalten, wohl aber qualitativ, wie in St. Jacobi oder St. Katharinen zu hören. Dezimiert wurden auch die Bestände aus der Romantik. Das Gros der erhaltenen Instrumente stammt aus der Zeit nach 1945 und repräsentiert diverse Strömungen der Orgelbewegung – bereits wiederum ein Kapitel in Hamburgs Orgelgeschichte.
Rechtzeitig zur Orgeltagung der Gesellschaft der Orgelfreunde (s. den Bericht ab Seite 12) erschien diese Neuausgabe des von Günter Seggermann (1920–2011) im Jahr 1997 veröffentlichten Inventars. Sie ist weit mehr als Korrektur, Aktualisierung und Ergänzung: Vorangestellt wurden nun zwei Überblicks-texte von Konrad Küster bzw. Walter Hilbrands. Ersterer beleuchtet vor allem sozio-kulturelle Aspekte bis zum 18. Jahrhundert, Letzterer die Entwicklung nach dem Stadtbrand von 1842.
Hardcover, Leseband und die nun besser gegliederten über 300 Kurzdarstellungen zu den einzelnen Orgeln erhöhen den Nutzungskomfort. Zu jedem Instrument werden Baujahr, Erbauer, einige technische Angaben, die Disposition und ein knapper geschichtlicher Abriss mitgeteilt; auf Literaturangaben wurde verzichtet. Die strikt schematische Abhandlung aller Orgeln führt jedoch dazu, dass Serien-Kleinorgeln gleichrangig mit repräsentativen Werken erscheinen (etwa der Elbphilharmonie). Dies wirkt zwar gerecht und lenkt den Blick auf verborgene Schätze wie die hübsche Nagel-Orgel von 1892 in der Sozial­therapeutischen Anstalt (vormals JVA). Einige Porträts hätten etwas ausführlicher sein dürfen, andere wären entbehrlich. So wäre ein Hinweis auf Gerd Zacher im Fall der Lutherkirche Wellingsbüttel angebracht gewesen (vgl. S. 13 in diesem Heft).
Es gibt in Hamburg eine „Lutherkirche“, mehrere „Luther-Kirchen“ und „Martin-Luther-Kirchen“. Selbst mit Orgelinventaren befasst, teile ich das Gebot der wörtlichen Namens-Ansetzung und bin mir der Problematik von deren Anordnung bewusst. Die auf Sichtweite stehenden Orgeln in der JVA Fuhlsbüttel werden dank der exakten Standortbezeichnung ohne Querverweis im Buch jedoch getrennt. Dem Ortsunkundigen helfen auch die Verzeichnisse im Anhang nicht immer weiter. Ein komplettes Namensregister hätte es z. B. erleichtert, jene „Zacher-Orgel“ (wo auch Zsigmond Szathmáry wirkte) aufzufinden. Prägende Persönlichkeiten wie Alfred Sittard oder Heinz Wunderlich bleiben ungenannt.
Positiv hervorzuheben ist, dass ein Profi-Fotograf sämtliche Orgeln neu aufgenommen hat. Leider sind sie jedoch im fast einheitlichen Kleinformat wiedergegeben, so dass die oft stimmungsvollen Räume und originellen Prospekte nicht immer adäquat zur Geltung kommen. Ein paar größere Bilder hätte man etwa im Einleitungsteil mühelos einstellen können.
Mit einer sorgfältigen Auswahl von Orgeln, inklusive der nötigen Informationen und bibliophil gestaltet, wäre das u. a. durch die Kampagne zum Schnitger-Jahr 2019 „Hamburg zieht alle Register“ angesprochene Publikum wohl besser bedient gewesen. Ein Vollinventar veraltet so rasch, dass es heutzutage sinnvoller auf elektronischen Medien geführt wird; dort lässt sich auch Literatur leichter einpflegen und finden. Dennoch ist es ein gewichtiges Signal der Behörde für Kultur und Medien sowie ein großes Verdienst der Autoren, dass der Orgelschatz der Freien und Hansestadt hier buchstäblich mit Händen zu greifen ist: Die im 14. Jahrhundert begründete Orgelbegeisterung wirkt bis heute – und dies hoffentlich noch lange!

Markus Zimmermann