Werke von Karl Waldeck, Simon Anton Weiss, Jan Křtitel Kuchař, Josef Rheinberger, Felix Alexandre Guilmant und Paul Barras

Die Orgeln der Stiftskirche Wilhering

Ikarus Kaiser (Hauptorgel), Thomas Dinböck (Chororgel)

Verlag/Label: Ambiente ACD 1087 (2021)
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2021/02 , Seite 62

Die Orgelanlage der Zisterzienserabteikirche zu Wilhering bei Linz (Österreich) zählt zu den interessantesten ihrer Art im deutschen Sprachraum. Neben der berühmten, als so genannte „Kanzel­orgel“ angelegten Chororgel von Nikolaus Rummel aus dem Jahre 1746 befindet sich auf der West­empore im Gehäuse der ehedem wohl von Johann Ignaz Egedacher 1741 errichteten barocken Hauptorgel ein bedeutendes mechanisches Kegelladen-Instrument des oberösterreichischen Orgelbauers Leopold Breinbauer aus dem Jahre 1884.
Breinbauer, dessen erstes großes Werk gleich die große 39-regis­trige Wilheringer Orgel war, hatte mutmaßlich – nach Anfängen in der väterlichen Werkstatt im Wilhering benachbarten Ottensheim – Lehrjahre bei Friedrich Ladegast in Weißenfels absolviert. Seine Klangsprache orientiert sich nicht nur an der geforderten sinfonischen Grundtönigkeit seiner Zeit, sondern auch an barocken Vorbildern, wovon mehrere erstaunlich helle Klangfarben der großen Wilheringer Orgel zeugen. In späteren Jahren konnte Meister Breinbauer viele, auch größere Aufträge in der näheren und weiteren Umgebung ausführen, die sicher auch der erstaunlichen Qualität sei­nes Wilheringer „Erstlings“ zu verdanken sind.
Anton Bruckner schätzte die Rummel-Orgel außerordentlich: Bis heute wird sie als „Kleine Bruckner-Orgel“ tituliert. Nach verschiedenen Veränderungen an beiden Instrumenten im 20. Jahrhundert konnte ab 2016 eine mustergültige Reorganisation und Restaurierung durch die Schweizer Firma Kuhn durchgeführt werden, die dem Ensemble (unter kluger Beibehaltung geringfügiger späterer Veränderungen an der Breinbauerschen Anlage) ihren wohl ursprünglichen Glanz und Charakter zurückbrachte.
Stiftsorganist Ikarus Kaiser stellt „seine“ beeindruckende Orgelanlage auf dieser Einspielung mit einem reichhaltigen und klug disponierten Programm vor. Gleich zu Beginn überwältigt der (von Tonmeister Tom Spogis hervorragend eingefangene) Raumklang der Abteikirche, wenn Kaiser, sekundiert von Thomas Dinböck an der Chororgel, in die prächtige Klangwelt der eigens zur Einweihung der Breinbauer-Orgel verfassten Fantasie für große und kleine Orgel des Linzer Domkapellmeisters und Bruckner-Adepten Karl Waldeck eintaucht.
Später hören wir die erstaunlich kernig und raumfüllend wirkende Rummel-Orgel mit Musik von Brixi (ein von Simon Anton Weiss überliefertes Präludium) und Kuchar (dessen häufig gespielte, allerdings erst posthum zusammengestellte Fantasie in g-Moll).
Der größere Teil der vorliegenden CD ist aber der umfassenden Vorstellung der beeindruckenden Breinbauer-Orgel vorbehalten. Ikarus Kaiser geht „in die Vollen“ mit Joseph Rheinbergers Fantasie-Sonate As-Dur op. 65, für mich der eigentliche Höhepunkt der Einspielung! Kraftvolle Plena, von dunklen Mixtur- und Cornett-Klängen geprägt, fantastisch schöne Flöten, herrlich zarte und noch herr­licher „sägende“ Streicherstimmen geben dem bedeutenden Rheinberger-Opus den perfekten klanglichen Rahmen und Inhalt.
Selbst die folgende erste Orgelsonate op. 42 von Alexandre Guilmant erfährt eine überzeugende Darstellung an diesem nicht unbedingt französisch-sinfonisch ausgerichteten Instrument. Eine spielfreudige Toccata über das „Ite Missa est“ aus der Feder des 2017 verstorbenen Flor-Peeters-Schülers Paul Barras rundet dieses sehr überzeugende und gelungene Orgel-Raum-Porträt der Stiftskirche Wilhering erschöpfend ab.

Christian Brembeck