Werke von Georg Muffat, Paul Hofhaimer, J. J. Froberger, J. C. Kerll, W. A. Mozart, Pier Damiano Peretti, Girolamo Frescobaldi, Heinrich Scheidemann und J. S. Bach
Die Festorgel des Stifts Klosterneuburg
Johannes Zeinler, Orgel
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Selbstverständlich ist das „Kern-Repertoire“ aus der Mitte des 17. Jahrhunderts die erste Wahl, um die 1642 erbaute Große Orgel im Augustiner-Chorherrenstift Klosterneuburg bei Wien überzeugend zu porträtieren. Stiftsorganist Johannes Zeinler, in dieser Sparte unter anderem bei Wolfgang Zerer und Michel Bouvard ausgebildet, eröffnet dabei einen überregionalen Blickwinkel und gelangt bereits mit Georg Muffat, Johann Jacob Froberger, Johann Caspar Kerll, Girolamo Frescobaldi und Heinrich Scheidemann zu verblüffend großer Stilvielfalt, die deutlich über den Kreis der „üblichen Verdächtigen“ für eine süddeutsche Barockorgel mit einschlägigem Tonumfang hinausreicht.
Besonders interessant ist, dass neben dem örtlichen auch der zeitliche Rahmen weiter gespannt wird: Paul Hofhaimers Salve Regina entstand mehr als 100 Jahre vor der Klosterneuburger Orgel, J. S. Bachs Magnificat-Fuge und Mozarts Flötenuhr-Andante (KV 616) liegen mit etwa gleichem Abstand nach deren Baujahr. Diese wohlbekannten zeitlichen „Ausreißer“ erscheinen – wie das gesamte Programm – in erfrischend neuem Gewand, ausgereifter Interpretation und hervorragend registriert.
Zeinler zeigt das großartige Instrument von seinen besten Seiten: den wohlig-einhüllenden Prinzipalen, federleichten, dennoch raumfüllenden Flöten, plastischen Echowirkungen mit den Zungenregistern bis hin zum enorm dichten, wahrlich festlich erhebenden Plenum zu Ein- und Auszug. Besonders reizvoll ist, dass Zeinler den 2015 entstandenen Zyklus Florete flores seines Lehrers Pier Damiano Peretti aufgenommen hat und somit die differenzierten Farben des altehrwürdigen Instruments auch in Musik unserer Zeit erblühen lässt. Damit beweist er die Universalität und überzeitliche Gültigkeit einer historischen Orgel, von der andere behaupten, sie schränke im Repertoire eher ein. Für Zeinler stellte sich eher die Qual der Wahl, und er öffnet einen bald 400 Jahre alten Klangkörper für Töne und Hörer des 21. Jahrhunderts – wie dies mittlerweile viele Spezialisten historisch informierter Aufführungspraxis tun, etwa Hille Perl.
Das zweisprachige, edel gestaltete Digipack-Booklet vermerkt die Disposition mit summarischen Materialbeständen und die Registrierungen. Ferner geht Zeinler besonders auf die jüngere Geschichte der Orgel und ihre Bezeichnungen an diesem auch für die Entwicklung der katholischen Liturgie wichtigen Ort ein: Vinzenz Goller verwendete 1913 erstmals den Ausdruck „Festorgel“, kritisiert zugleich die offenbar noch originale Stimmtonhöhe und den Tonumfang. Andererseits rühmt er den „ungemein feierlichen, erhabenen Klang […] der mir als Ideal der Gesamtwirkung einer Kirchenorgel vorschwebt“. Liegt darin ein Schlüssel zu unserer seit rund 100 Jahren gewachsenen Betrachtungsweise von Orgeln aus dem 17. Jahrhundert? – Wie immer der Anteil an Substanz von 1642, die Authentizität des heutigen Klangbilds und der Begriff der Festorgel interpretiert werden: Selbst auf der CD offenbart sich hier ein Orgelfest – ganz zu schweigen vom Erleben bei einer Orgelmesse oder im Konzert.
Markus Zimmermann