Die Bruckner-Orgel im Alten Dom zu Linz
Werke von Erwin Horn, Johann Baptist Schiedermayr, Rupert Gottfried Frieberger, Carl Borromäus Waldeck, Franz Neuhofer
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Lebe wohl steht mit Bleistift auf dem Spieltisch notiert. Wahrscheinlich stammt diese heimliche Liebeserklärung von Anton Bruckner: Er dürfte sie angebracht haben, als er 1868 nach Wien wechselte und sein Amt als Organist im Alten Dom zu Linz aufgab. Nicht nur die Inschrift hat sich erhalten, sondern auch das Instrument selbst hat die Zeiten unverändert überdauert. Ein Glücksfall, denn so ermöglicht die Linzer Bruckner-Orgel auch heute noch einen unverfälschten Eindruck von genau denjenigen Klängen, welche die musikalischen Vorstellungen des späteren Sinfonikers inspirierten.
Errichtet worden war das Werk in den Jahren 1764-66 von Franz Xaver Christmann für die Stiftskirche von Engelszell in Oberösterreich. Nach der Aufhebung des Stifts unter Kaiser Joseph II. wurde die Orgel nach Linz transferiert. Bruckner, der dort ab 1855 als Domorganist fungierte, ließ das Christmannsche Werk durch den aus Passau stammenden Josef Breinbauer umbauen, wobei allerdings die kurzen Bassoktaven im Manual und die kurze Oktave im Pedal erhalten blieben.
Auf diese bauliche Eigenheit nimmt die Werkauswahl Rücksicht, anhand derer der heutige Titular Bernhard Prammer auf der vorliegenden CD-Neuveröffentlichung dem Hörer die dreimanualige Bruckner-Orgel in ihren charakteristischen Klängen vorstellt. Fast ausschließlich kommen Tonschöpfer zu Wort, die selbst am Instrument tätig waren. Von Johann Baptist Schiedermayr, einem Amtsvorgänger Bruckners, erklingen drei der Präludien für die Heilige Weihnachtszeit, anhand derer Prammer nicht nur den Reiz der Flöten und Streicher, sondern auch die Echo-Register im Mittelmanual herausstellen kann.
Bruckners Schüler und Linzer Nachfolger Carl Borromäus Waldeck ist mit einer Orgelfantasie über Motive aus Beethovens Synfonien vertreten, in welcher eigenwillig Eroica-Finale und Freudenthema der Neunten kombiniert sind, während seine weiteren Kompositionen, darunter eine Fantasie nach dem Vorbilde Bruckners sich zu starr am jeweiligen Grundeinfall festklammern, um musikalisch wirklich zu fesseln. Sogar Bruckner selbst kommt zum Zuge: mit seinem kleinen, harmonisch kühn schweifenden C-Dur-Praeludium (Perger Präludium) aus dem Jahre 1884, das sein Nach-Nachfolger Franz Neuhofer 1922 anlässlich einer Bruckner-Feier in dessen Geist zur dreiteiligen Form erweiterte.
Mit diesen traditionellen Stücken verzahnt Prammer Neuschöpfungen, wenn er fünf der 2009 von Erwin Horn eigens für das Instrument geschaffenen Elf Engelszellen interpretiert, die einen spätromantischen Raum beschwören. Direkt für die vorliegende CD-Einspielung entstand weiter Rupert Gottfried Friebergers In memoriam A. B.: eine rondoartig angelegte Komposition, die Zitate einschlägiger Motive, Rhythmen und Harmoniefolgen aus Bruckners Vierter und Neunter enthält und dessen sinfonische Sprache überzeugend auf den Ort ihrer Inspiration, die Orgel, rücküberträgt.
Gerhard Dietel