Pierre du Mage: Premier livre d’orgue / Messiaen: L’Ascension / Duruflé: Prélude et fugue sur le nom d’Alain

Das goldene Zeitalter fran­zösischer Orgelmusik, Vol. 2

Alessandro La Ciacera an der Cavaillé-Coll-Orgel von Saint-Salomon de Pithiviers (Loiret)

Verlag/Label: VDE Gallo GAL-CD-1571 (2020)
erschienen in: organ – Journal für die Orgel 2020/02 , Seite 56

4 von 5 Pfeifen

Die Orgel von Pithiviers, einem kleinen Ort neunzig Kilometer südlich von Paris am Ufer der Essonne gelegen, ist wahrhaft eine Besonderheit. Erbaut wurde sie Ende des 18. Jahrhunderts von Jean-Baptiste Isnard, Neffe des berühmten Isnard von Saint Maximin du Var. Obwohl die Einweihung mitten in den Revolutionswirren stattfand – am 3. August 1789, gerade einmal drei Wochen nach dem Sturm auf die Bastille –, überstand die Orgel diese schwierigen Zeiten unbeschadet. Gut hundert Jahre später befasste sich Aristide Cavaillé-Coll mit dem Instrument, wobei wieder einmal deutlich wird, mit welchem Respekt dieser geniale Neuschöpfer die Tradition respektierte, sofern diese von Qualität war. Er entfernte zwar das Clavier d’écho, fügte Streicherstimmen hinzu und richtete ein gut besetztes Récit expressif ein, behielt aber das Pfeifenwerk Isnards bei. Von 42 stieg nun die Registerzahl auf 48 und erreichte schließlich 50 Stimmen, als in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts Robert Boisseau das Instrument einer weiteren Restaurierung unterzog. Er behielt Cavaillé-Colls Neuerungen bei, änderte allerdings die Mixturen, rekonstituierte die Aliquoten und nahm eine Intonation im Geist des 18. Jahrhunderts vor.
Nach Sicherung der Arbeiten Boisseaus 2005–08 durch Cattiaux handelt es sich hiermit um eine Orgel, die sowohl dem barocken als auch dem symphonischen Repertoire Frankreichs Rechnung trägt. Der 1979 geborene Alessandro La Ciacera, Preisträger zahlreicher Wettbewerbe und seit 2005 zweiter Organist am Mailänder Dom, führt dies eindrucksvoll vor. Beim Livre d’Orgue von Pierre Du Mage, das La Ciacera mit stilsicherer Regis­trierung, Ornamentik und Inegalität spielt, klingt die Orgel absolut überzeugend, wobei die Aufnahme­technik gut die räumliche Komponente, z. B. beim Wechsel auf das Rückpositiv, deutlich macht.
Bei La Ciaceras Interpretation von Messiaens L’Ascension irritiert zwar etwas die viel auf Kornett-Klängen beruhende Registrierung der „Alleluias sereins“, allerdings wird im Laufe der vier Sätze die klangliche Besonderheit des Instruments deutlich. Diese besteht vor allem im Charakter der Zungenstimmen, die ja fast alle von Isnard stammen und deren barocke Brillanz den Gesamtklang etwas rauer erscheinen lässt, als dies bei symphonischen Zungen der Fall wäre. Auch wenn man dadurch an einigen Stellen einen gewissen Schmelz vermisst, macht dies bei „Transports de joie“ einen fulminanten Eindruck und sorgt für Deutlichkeit.
Ähnlich bei Duruflès Prélude et fugue sur le nom d’Alain. „Spucken“ die Grundstimmen zu Beginn auch mehr, als man dies gewohnt ist, so ist doch die stufenlose Dynamik gro­ßer Amplitude, die das Stück im Folgenden entwickelt, sehr beeindruckend und schlüssig.
Kleine Abstriche sind lediglich beim Booklet zu machen, wo man sich mehr Informationen zu Musik und Orgel gewünscht hätte.
Christoph Kuhlmann