Martin Erhart (Hg.)
Das Buxheimer Tabulaturenbuch (um 1460/70)
25 zwei- und dreistimmige Stücke für (fast) alle Melodieinstrumente oder Tasteninstrumente in praktischer Spielpartitur
Der bei Memmingen (Landkreis Unterallgäu) gelegene idyllische Ort Buxheim wird geprägt von der beeindruckenden, gut erhaltenen, im Rokokostil teilweise überformten Struktur des ehemaligen Karthäuserklosters Maria Saal mit seinen charakteristischen monastischen Einzelzellen und zugehörigen Gärten. Ein eigener Raum der museal erschlossenen Klosteranlage ist dort der nach Säkularisationsverlusten teilweise restituierten Klosterbibliothek und ihrem bedeutendsten Folianten, dem sogenannten Buxheimer Tabulaturen- oder Orgelbuch gewidmet. Dieses wurde von den verschuldeten Grafen von Bassenheim an die Bayerische Staatsbibliothek München verkauft und ist dort unter der Signatur Mus. ms. 3725 archiviert.
Die Sammelhandschrift entstand um 1460/70 im Umkreis von Conrad Paumann und enthält mit 250 Stücken einen Querschnitt durch die gesamte Instrumentalkunst ihrer Zeit, u. a. nach vokalen Quellenvorlagen von Gilles Binchois, Johannes Ciconia, John Dunstable, Guillaume Dufay, Walter Frye, Oswald von Wolkenstein und aus dem Lochamer Liederbuch. Sie überrascht als Musikquelle im strengen karthäusischen Umfeld, da der vom Hl. Bruno gegründete Orden primär vom Schweigen und der Betrachtung geprägt wird. – Von dieser musikgeschichtlich herausragenden und musikwissenschaftlich gut erforschten Quelle existiert seit 1958 eine Faksimileausgabe, während bislang eine praktische Spielausgabe fehlte.
Der Herausgeber Martin Erhart hat dies nun in beachtlicher, didaktisch beeindruckender Weise umgesetzt, indem er die auf Paumanns Grabplatte in der Münchner Frauenkirche abgebildeten Instrumente als Vorbild nimmt, um die Werke für verschiedene Besetzungen und Ensembles ausführbar anzubieten. Die 25 ausgewählten Sätze sind zunächst in geistliche und weltliche Titel (deutsch, französisch, italienisch) sowie Tanzsätze aufgeteilt. Jedem Werk ist anerkennenswerterweise ein erläuterndes Vorwort beigegeben und die gregorianische oder motettische Vorlage, zumindest aber der Text. Hier sind dankenswert viele Hinweise auf liturgische Verwendung, Alternatimpraxis, Formenlehre u. a. gegeben. Die hier leider verwendete „Ostereier-Notation“ im Fünfliniensystem beeinträchtigt allerdings die Freude bei der Umsetzung der gregorianischen Vorlagen. Ein spannendes Notenbild entsteht durch die Notation von Tenor und Contratenor in schwarzen und roten Noten.
Dies eröffnet reizvolle Besetzungsmöglichkeiten, sei es bei professioneller Consortmusik mit historischen Instrumenten oder an Musikschulen. Einfach erklärte Spielhilfen im Vorwort streifen die Bereiche Artikulation, Verzierungen oder Fingersätze, bringen aber inhaltlich die wichtigsten Informationen als gut anwendbares Konzentrat. Der didaktische hochmotivierte Vermittlungsansatz überzeugt mit seiner wohlabgewogenen Mischung zwischen hoher Sachkenntnis und musikalischer Erfahrung. Zwei kleine Faksimileseiten und ein umfassender kritischer Bericht geben weitere Anreize zum Einarbeiten in diese Stilepoche, auch wenn sich Referenzinstrumente dafür zumindest unter den Orgeln nur vereinzelt finden lassen.
Josef Edwin Miltschitzky